Re: Pflegeheime und Demenz - Erfahrungen
Hallo Leona,
vor allem weiß man ja nicht, aus welchen Gründen diese Medikation erfolgt ist. M.E. muss Rücksprache mit dem bevollmächtigten Angehörigen gehalten werden, solange nicht Gefahr im Verzug ist. Welche Gefahr Dein schwerkranker Vater allerdings in einer WG darstellen könnte, weiß vmtl. nicht einmal Baron Münchhausen. Ich vermute, dass er sich aggressiv geäußert hatte, weil er keinen anderen Weg der Kommunikation zur Abwehr von durch ihn als belästigend oder gefährlich empfundenen Maßnahmen zur Verfügung hatte. Aber damit müssten gute PflegerInnen eigentlich fertig werden ohne gleich zu Psychopharmaka zu greifen bzw. zu wechseln. Dürfen die denn das überhaupt ohne Rücksprache mit einem Neurologen, der gut mit dem Fall vertraut ist?
M.E. sind diese Substanzen gut, wenn man gezielt schizophrenie- resp. psychoseähnliche Symptome wie Paranoia oder stark beeinträchtigende Halluzinationen eindämmen muss und auch dann nur in möglichst niedriger Dosierung. Aus all Deinen Schilderungen habe ich aber noch nie gelesen, dass Dein Vater halluzinierte oder ein paranoides Verhalten zeigte (habe ich da etwa was übersehen?). Er scheint sich einfach gegen eine ihm fremde Umwelt zu wehren. Diese ihm fremd gewordene Umwelt ist aber nicht das Produkt eines psychotischen Zusammenbruches sondern der Verlust der inneren Weltrepräsentanz durch neurodegenerative Prozesse und damit die zunehmende Unmöglichkeit des Erkennens durch Vergleichen. Wenn aber nun das ihm Fremdgewordene ihm nett, freundlich und überwiegend geduldig gegenübertritt, so würden die unangenehmen Affekte m.E. merklich zurückgehen bis auf jene, die tatsächlich nur aus dem Hirn selbst stammen und für die ggf. geringe Dosen Psychopharmaka ausreichen könnten.
Hier scheiden sich nach meinem Eindruck die Geister. Da wären einmal diejenigen, die ganz ohne Medis auszukommen gedenken und nur auf Validation und ähnliches setzen und da wären die anderen, für die alles „nur“ Hirnchemie ist und die daher meinen, man könne alles mehr oder weniger durch Medikamente regeln. Man kann vieles damit regeln – z.B. Infektionskrankheiten mit Antibiotika erfolgreich heilen - aber keine soziale Interaktion ersetzen. Das aber völlig nichtinvasive Prozesse dermaßen provozieren können, dass dadurch die Hirnchemie kräftig reagiert, sollte eine Binsenweisheit sein, wenn man mal daran denkt, wie man auf schlechte Nachrichten reagiert (Worte, Bilder, usw. haben Macht!). Also ist es doch sinnvoll, erst einmal die sozialen Kommunikationsmöglichkeiten so auszuschöpfen, dass statt „Provokationen“ (bzw. Ansprache und Handlungen, aus denen man ersehen kann, dass sie provozierend wirken) Mitmenschlichkeit vermittelt wird, bevor man zur Medikation schreitet. Das ist bei Demenz wegen der großen Missverständlichkeit nicht einfach und man wird ab einem bestimmten Punkt wohl nicht ohne diese Medis auskommen, aber man muss sich zuvor doch immer fragen, ob wirklich alles ausgeschöpft wurde.
Es müsste ein Arzt Deines Vertrauens all das kontrollieren – als Laie kennt man sich da doch nicht so gut aus. Wenn ich das sich mehr und mehr anbahnende Elend auch bei meinem Vater sehe, verfluche ich meine Faulheit und Dummheit, nicht Medizin studiert zu haben. Das bisschen Stückwerk, welches ich mir durch Bücher und DVDs noch aneignen kann, bringt es ja leider auch nicht und endet oft nur in merkwürdige Spekulationen. Und doch mache ich weiter. Morgen fahre ich wieder zu meinen Eltern – bin längst überfällig, aber Arzttermine meinerseits (habe jetzt Sympal (Dexketoprofen) verschrieben bekommen und muss im März zu weiteren Untersuchungen).
Jetzt habe ich wieder einiges geschrieben und konnte doch nicht helfen. So bleibt mir nur, Dir ganz viel Kraft zu wünschen und noch mehr Gottvertrauen.
LG
Egon