Liebe Elektraa,
Tired hat recht, Künstler ist, wer Kunst macht, und wenn du diese Kategorisierung nicht magst, dann ist das auch dein gutes Recht. Wenn du von deiner Kunst leben willst, kann die Kategorisierung aber hilfreich bzw. nötig sein. In der "Kunststadt", in der ich lebe, haben viele Künstler nur eine finanzielle Überlebenschance, wenn sie anhand bestimmter Kriterien ihren Künstlerstatus nachweisen können. Akademieabsolventen haben mit ihrem Studienabschluss diesen "Titel", Autodidakten müssen sich den hart erkämpfen. In der Stadt als Künstler von seiner Kunst zu leben, ist für die meisten tatsächlich sehr schwer.
Und was den künstlich aufgeblasenen (Welt-)Kunstmarkt angeht - dahinter stecken (das ist kein Witz!) u.a. auch so mächtige Sponsoren wie z.B. die CIA in den USA (seit den 50er Jahren). Es gibt z.B. absolut keinen vernünftigen Grund, weshalb z.B. eine Fotografie eines der "Balloon-Dogs" von Jeff Koons 45.000,00$ wert sein soll. Aber ebensowenig ist mit Vernunft nachvollziehbar, weshalb Fußballstars oder manche Filmstars Milliarden verdienen und andere, die mindestens die gleiche Leistung erbringen kaum über die Runden kommen. Das lässt sich nur mit Kenntnis der dahinter liegenden Finanz(ierungs-)systeme erklären. Das ist die von Adorno/Horkheimer so bezeichnete "Kulturindustrie". Schlecht für die Kunstwelt, schlecht für alle Künstler, die nicht zum "Club" gehören... den Club sollte es mMn gar nicht geben, bin eher partizipatorisch eingestellt und freue mich über absolut jeden Menschen, der Kunst macht, sich damit beschäftigt oder dafür interessiert.
Selber arbeite ich in meiner Kunst auch viel mit dem Zufall, so wie du - das haben schon viele vor uns getan, und mir gefällt v.a. das Werk der Surrealisten, die sich mit dem Bereich des Unbewußten beschäftigt haben. Ich bin zwar kein Freund der Freud'schen Psychoanalyse wie diese Künstler es waren, aber die Verwendung von Traumbildern, intuitiven Assoziationen etc. macht mir einfach Spaß bzw. fasziniert mich.
Was meine Beziehung zu V. angeht - den hasse ich doch nicht, der ist nicht mein Feind. Aber wenn er (körperliche) Nähe sucht, kann ich das oft nicht geben, weil ich mich seltsam abgestoßen fühle. Sicherlich sind da projizierte Schuldgefühle dabei, ich hab so ein Gefühl, ich wollte A. treu sein (warum auch immer), und V. kommt mir dann so bedürftig vor. V., der vorher immer so eigenständig war und mich oft emotional auf Abstand hielt, kommt jetzt, wo er sein Leben, wie er es sich erhofft hatte, zerstört sieht und will von mir aufgebaut werden. Aber ich habe ja seine Idee vom Leben im Ruhestand mit mir zum Platzen gebracht. Und eine neue Idee hat er nicht. Er sagte mal, A. habe sein Leben zerstört. Bzw. ich. Tja, ich fühle mich schuldig, weil ich es ja wirklich war, die überraschend die Beziehungskarten neu gemischt hat. Aber letztlich ist jeder für sein Glück verantwortlich - ich bin nicht für V.s Glück zuständig. Das ist nicht Teil des Ehevertrags, steht nirgendwo geschrieben.

/ Aber ich fühl mich nicht wohl, wenn er traurig ist (ich fühle doch seinen Schmerz), und er fühlt sich nicht wohl, wenn er nicht bekommt, was er will oder braucht.
Nicht, dass ich nicht zu seiner guten Stimmung beitragen wollte und auch versuche, möglichst viel dafür zu tun, aber es gibt da innere Grenzen für mich, die ich nicht überwinden kann.
Was A. angeht - ich habe aktuell keinen Lust mehr zu spekulieren, ob aus ihm und mir jemals noch was werden kann. Seinen erneuten Rückzug ohne jede offene Erklärung würde ich nie vergessen können, käme er nochmal zu mir zurück. Ob er an Covid 19 erkrankt ist, kann ich ggfs. durch meine Freundin erfahren, die auf der Intensivstation unserer Uniklinik hier arbeitet. Aktuell ist er nicht im KH. Und mal ein Lebenszeichen senden per email oder sonstigen elektronischen Medien ist grundsätzlich auch ihm möglich und nicht ansteckend. Also ne, ich habe gerade "keine Zeit" für sein Verhalten. Ich liebe ihn, vielleicht liebt er auch mich noch irgendwie (in seiner Phantasie oder sowas), aber ohne jegliche Kommunikation kann man keine Beziehung entwickeln. Er lässt "uns" quasi im Sande verlaufen ohne wirkliche Not, so kommt es mir wenigstens vor.
Lieber tausche ich mich mit meinen echten Freunden aus - A. war mir leider nie ein richtiger Freund, er hat es einfach nicht so weit kommen lassen. Sehr sehr schade.
So, Spaziergang ist angesagt und dann ab an die Arbeit...
GLG, Venus