Hallo VSV,
ich hab schon ziemlich früh nach meiner akuten Phase mehrfach gelesen, daß der Begriff "kämpfen" bei psychischen Erkrankungen nicht unbedingt förderlich ist:
"Kampf" bedeutet immer auch Alarmzustand und Streß. Man steht unter Strom, und gemeinhin führt man einen Kampf auch, um zu siegen - also gibt man sein Bestes und womöglich auch Letztes, erst Recht, wenn man mit dem Rücken an der Wand steht.
Der Haken bei den psychischen Klamotten ist nur, daß man den Kampf immer gegen sich selbst bzw. gegen Teile von sich selbst austrägt. Und da kann es keinen Sieger geben: Entweder gewinnt der "falsche" / "negative" Teil; dann ist der letzte Rest Selbstbewußtsein dahin und man fühlt sich endgültig geschlagen. Oder es gewinnt zwar der "richtige" / "positive" Teil; dann besteht aber immer die Gefahr, daß der geschlagene "negative" Teil sich nur verletzt zurückzieht, ein paar Monate oder Jahre vor sich hinschlummert und dann - etwas stärker womöglich - wieder zurückkommt. Und dann geht der Kampf auf's Neue los.
Ich bemühe mich deswegen schon fast seit Anfang meiner Depression/Angststörung, das Ganze mehr mit einer buddhistischen Sichtweise anzugehen, in der Akzeptanz, Achtsamkeit und Mitgefühl / Selbstliebe an erster Stelle stehen.
Klar rutscht mir selbst oft genug noch irgendeine kämpferische Vokabel raus, gerade auch gedanklich.
Aber ich korrigiere mich da auch immer sehr schnell und bemühe mich um eine relativierendere, akzeptierendere Vokabel und Argumentation mit dem Ziel, beides in mir - das Positive und das Negative - in dem Moment irgendwie ein bißchen unter einen Hut zu bekommen.
Das ist meiner Meinung / Erfahrung nach auch nicht ganz das Gleiche wie "stillhalten". "Stillhaltend" hat nach meinem Verständnis auch ein bißchen was resignierendes, vor allem aber passives.
"Aushalten" trifft es besser, denke ich, es klingt ein bißchen aktiver. Und in diesem Aushalten kannst Du dann zu lernen versuchen, die negativen, weniger geliebten Seiten an/in Dir besser zu akzeptieren und anzunehmen.
Du wirst da ein bißchen mit (positiven) Gedanken und Worten jonglieren müssen. Und gerade zu Beginn der Übung bin ich mir mitunter etwas lächerlich vorgekommen, wenn ich mir gesagt habe, daß ich mich so liebe und akzeptiere wie ich bin (erst recht, wenn ich das laut vor dem Spiegel gemacht habe

).
Wichtig ist auch,
Dir zu erlauben, Angst haben zu dürfen! Von Kindesbeinen an bekommen wir beigebracht, daß wir keine Angst haben müssen, was sich bei vielen uns unterbewußt so festsetzt, als
dürften wir keine Angst haben. Wenn wir das aber so angehen und die Angst deswegen erstmal reflexartig aktiv unterdrücken, wird sie nur noch stärker.
Seitdem ich das erkannt habe, ist eines meiner zentralen Mantras:
"Ich darf Angst haben. Ich habe zwar keinen Grund, Angst zu haben, ich bin in Sicherheit und es ist alles in Ordnung. Aber ich
darf Angst haben."
Und auch, wenn die Angst weiterhin unangenehm, lästig, beschwerlich und nervig sein kann (oft genug), so habe ich schon das Gefühl, daß es seitdem etwas leichter geworden ist. Die Angst und ich sind zwar bisher keine engen Freunde geworden - aber ich verkrieche mich seitdem nicht mehr schlotternd im letzten Loch, wenn sie auf mich zukommt.
Anstrengend ist es manchmal trotzdem noch, keine Frage. Aber trotzdem irgendwie ein bißchen besser.
Falls Du Dich noch nicht mit buddhistischen Sichtweisen und Lehren beschäftigt hast, wäre das vielleicht ein lohnenswerter Ansatz für Dich. Die Beschäftigung mit den Konzepten der Achtsamkeit, Akzeptanz, Mitgefühl, Selbstliebe und Meditationen liefert Dir eventuell neue Impulse und Blickwinkel auf Deine / eure Situation und Deine / eure Probleme. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, auf diese Lehren aufmerksam geworden zu sein, denn sie haben mir sehr dabei geholfen, manchen "hohlen" Ratschlag, den man schonmal so erhält, im Kern besser zu verstehen und mit Leben zu füllen. Klassisches Beispiel eben wirklich das Akzeptieren: Wie oft bekommt man gesagt, man solle dies oder das eben einfach akzeptieren, das wäre so. Punkt. ?
Oder man solle dieses oder jenes gelassener angehen, dürfe das alles nicht so eng sehen...? Kennst Du ja sicher auch zur Genüge, solche Tipps.
=> Erst mit der kontinuierlichen Beschäftigung mit den buddhistischen Theorien habe ich da irgendwann endlich den Zugang dazu gefunden. Klar - die Fragen nach dem "warum dies" und "weshalb ich" kommen mir immer noch oft genug. Aber daß ich sie nicht beantwortet geschweige denn gelöst bekomme, erfüllt mich jetzt nicht mehr so sehr mit Hilflosigkeit und Verzweiflung. Ein bißchen, ja, hin und wieder, an schlechteren Tagen. Aber kein Vergleich zu den Anfängen, wo ich in dem Chaos regelmäßig abgesoffen bin.
Falls Du da etwas mehr westlich geprägte Sichtweisen mit einbezogen haben möchtest, kann ich Dir ein Buch zur ACT (Acceptance and Commitment Therapy) empfehlen, aus dem ich mir auch einiges für mich mitgenommen habe:
Das Leben annehmen: So hilft die Akzeptanz– und Commitment–Therapie (ACT)
Sicher kein günstiges Lesevergnügen, aber echt empfehlenswert. M. Wengenroth beschreibt die ACT und ihre Umsetzung wirklich sehr anschaulich und nachvollziehbar, teilweise auch etwas überspitzt illustriert, so daß man die Dinge auch wirklich auf die Praxis anwenden kann. Da ich zu dem Zeitpunkt bereits einiges über buddhistische Akzeptanz und Achtsamkeit gelesen hatte, kam mir auch vieles bekannt vor und ich dachte mir: So doof können die buddhistischen Mönche also nicht sein...
Wie immer und schon gesagt:
Nur ein paar weitere Empfehlungen, gerade auch um Dir zu zeigen, daß Du nicht wirklich machtlos bist - auch wenn es sich manchmal (oder auch öfter) so anfühlt.
Objektiv betrachtet bist Du es aber nicht - es sind "nur" Deine negativen Gedanken und Ängste, die Dich das glauben machen wollen.
Wichtig ist in jedem Fall nur, einen langen Atem und Geduld zu entwickeln - dann klappt es auch irgendwann

Ich bin mittlerweile so weit, daß ich - wenn es mir nicht gerade ganz übel geht - vieles an meiner Depri und Angst im Ansatz mit einem gewissen akademischen Interesse und Neugier zu betrachten versuche. Frei nach dem Motto: "Wenn Du einen Feind nicht bezwingen kannst, überlege Dir, wie Du Dich mit ihm vielleicht doch noch verbünden kannst."
(Sonntag und gestern konnte ich das eher nicht; heute geht das schon wieder

)
Ein stetiges Auf und Ab eben
Ich drücke Dir auf jeden Fall die Daumen, daß bald wieder bessere Tage, Wochen und Monate kommen
LG,
Alex