Moin
Ich pack das Thema "AD" mal an den Anfang meiner Antwort:
Ich bin draufgekommen, dass in den letzten Jahren sehr oft der angehende Winter und der Jahreswechsel mir zu schaffen machten. Ich will mich nicht wiederholen, aber am ausschleichen der Antidepressiva kann es nicht liegen, diese habe ich seeeeerh langsam (fast) abgesetzt.
[...]
Ach ja und Alex, wegen der Forschung zu den AD. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, das diese Medikamente, welche Millionenfach verschrieben werden dann doch nichts bringen würden. Mit haben Sie bisher immer wieder geholfen mich zu stabilisieren.
Also:
Ich sage
nicht, daß die Medikamente gar nichts bringen würden; da mißverstehst Du mich.
Im Prinzip geht's mir ja auch da ähnlich wie Dir, und ich nehme meine 20mg ja nun nicht ohne Grund

Auch ich hab schon 3x versucht auszuschleichen, und ohne ist es definitiv schlimmer als mit.
Allerdings weiß ich nicht, ob das dann primär Placebo ist - oder umgekehrt ein Nocebo, wenn ich es nicht nehme -, oder ob es wirklich wirkt.
Fakt ist nämlich definitiv auch:
Weder waren 20mg Citalopram damals noch 30-40mg Fluoxetin in meiner persönlichen Spitze das Allheilmittel. Auch, wenn es mir sicher deutlich besser ging als ohne oder auch jetzt mit 20.
Tatsache ist aber auch:
1. Bis heute wurden für Depressionen und Angststörungen keinerlei Marker im Blut/Körper/Gehirn oder wo auch immer gefunden, wie bei den meisten anderen Krankheiten. Es gibt keine Antikörper, es gibt keine sonstigen Immunreaktionen, etc. etc.
2. Praktisch alle Antidepressiva, die es gibt - und insbesondere die leichten, die wir nehmen -, sind Zufallsentdeckungen aus anderen medizinischen Bereichen: Man hat für Krebs- oder Schmerzpatienten gezielt nach bestimmten Medikamenten geforscht, die haben teilweise auch geholfen (oder auch nicht), und gleichzeitig ist ein deutlicher, positiver Stimmungswechsel bei den Patienten festgestellt worden, die aufgrund ihrer körperlichen Leiden oft depressiv mehr oder minder stark angeschlagen waren. Also ging man davon aus, eine Spur für die generelle Linderung der Leiden von Depressionen und Angststörungen gefunden zu haben.
3. Auch die These des Serotoninmangels als
Ursache von Depressionen konnte noch nicht eindeutig bewiesen werden. Es gibt sehr sehr starke Indizien dafür, daß es so ist bzw. sein könnte, und man stellt bei Depressiven häufig eine statistische Signifikanz hierzu fest. Aber leider gibt es genauso viele Betroffene, bei denen der Serotonin-Haushalt nicht das Problem ist. Oder die SSRI (Citalopram, Fluoxetin) trotzdem nicht anschlagen.
4. Wie Du sicherlich weißt, können auch Probleme beim Dopamin oder Noradrenalin Depressionen und Angststörungen begünstigen. Nicht umsonst gibt es auch hierfür Medikamente, teils auch in Kombination mit der Serotonin-Behandlung, bspw. die SNRI wie Venlafaxin.
5. Weiterhin ist die Wirkweise sämtlicher Antidepressiva (wenn sie denn, individuell gesehen, wirken) nach wie vor ein Rätsel und unterliegt vielen modellhaften Annahmen. Da könnte ich jetzt auch noch etwas ausholen, aber dann ufert der Text hier aus

6. Und zuguterletzt: Daß AD so oft verschrieben werden, kann nicht als Begründung dafür dienen, daß sie wirken müssen. Millionen von Fliegen essen Scheiße...
Ich will AD damit echt nicht in den Schmutz ziehen. Ganz im Gegenteil. Ich nehme mein's ja wie gesagt auch noch. Vielleicht hätte ich es auch ohne geschafft, vielleicht würde es mir dann auch heute besser gehen und ich wäre "gesund". Vielleicht aber auch nicht.
Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, daß ich mich so scheiße wie damals und zwischendurch nicht fühlen möchte - das Fluoxetin "deckelt" das etwas, also nehme ich es

Aber es löst das Problem nicht.
Weiterhin kann man insbesondere auch den Ärzten und Psychiatern grundsätzlich keine Vorwürfe machen, denn sie tun und machen, was nach derzeitigem Kenntnis- und Wissensstand bekannt und möglich ist. Und das ist gut so und unbedingt notwendig!
Ferner denke ich, daß diese positive Sichtweise gerade zu Beginn einer Erkrankung sinnvoll sein kann, um dem verzweifelten, depressiven und potentiell selbstmordgefährdeten Patienten Hoffnung zu geben

Also alles absolut richtig.
Trotzdem denke ich auch, daß eine breit- und großflächigere Aufklärung vor allem von langjährigen Langzeitbetroffenen erforderlich ist, die immer wieder ihre Hoffnungen in ein neues Medikament setzen und am Ende enttäuscht werden. Es ist einfach Fakt, daß die Forschung und Wissenschaft in Sachen Depression und Angststörung immer noch massiv im Dunkeln tappt und stochert. Und insbesondere die Tatsache, daß die Pharmakonzerne mit diesen Medikamenten einen - von Jahr zu Jahr steigenden! - Riesenumsatz machen, hat für mich da dann auch ein bißchen ein G'schmäckle
Das ändert nichts daran, daß ich meine Hoffnungen da durchaus auch noch reinsetze, daß irgendwann in den nächsten Jahren der "große" Durchbruch gelingt und sich meine / unsere Situation medikamentös noch besser stabilisieren läßt.
Es ist aber eben auch so, daß das, was um uns herum passiert, das Leben ist - wenngleich heutzutage um ein Vielfaches schneller und multipliziert als in vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden. Vielleicht gibt's dagegen einfach kein wirkliches Medikament. Vielleicht ist das alles eben einfach so. Vielleicht müßten wir wirklich lernen, die Uhren hier und da ein gutes Stück zurückzudrehen.
Ich hoffe, es wird deutlich, daß ich in Sachen AD eben auch sehr ambivalent bin. Es wäre schön, wenn es einfach wäre - entweder in der einen, oder der anderen Richtung. Ist aber auch das leider nicht

*seufz*
Weihnachten war schön, aber als ich meinen Papa umarmte musste ich wie ein kleines Kind weinen, weil Mama heuer das erste mal nicht in unserer Mitte war.
Das ist doch absolut normal, menschlich und verständlich

Und Du wirst da noch oft drüber weinen und traurig sein.
Das ist das Leben... :/
Ich hatte gestern dazu eine schon fast heftige Diskussion mit meiner Frau, die grundsätzlich das Gefühl hat, dass ich nirgenwo weiterkomme. Sie wirft mir immer wieder mal vor, dass Sie das Gefühl hat, trotz meiner Therapie, sich gar nichts gebessert hat. Ich verstehe das nicht!
[...]
Sie sagte, dass solche eingefahren und angelernten Verhaltnsweisen lange brauchen bis sich das Gerhirn umgestellt hat.
Sie kriegt aber schon mit, daß sie sich da irgendwo selbst widerspricht?!?
Ansonsten kann ich Dich auch da "trösten", denn auch meiner Frau geht meine langjährige Situation immer wieder arg an die Nieren, dazumal sie eben auch ihr eigenes Päckchen zu tragen hat.
Aber so blöd es jetzt klingen mag:
Vielleicht braucht auch Deine Frau mal 1-2 Sitzungen bzw. Gespräche, in der ihr das ein oder andere erklärt wird.
Druck und Gegendruck ist das letzte, was ihr zwei gebrauchen könnt.
Und was das "zu langsam geht" angeht:
Das ist verständlich - ich könnte da jeden Tag in die Tischkante beißen zur Zeit.
Ändert aber nix.
Ihr kommt besser damit klar, wenn ihr euch gegenseitig Ruhe und Geduld zusprecht. Jetzt natürlich nicht rund um die Uhr und permanent. Aber eben immer mal wieder, wenn ihr das Gefühl habt, da zuviel Erwartungsdruck aufzubauen
Immer soll ich gefordert sein - in der Beziehung - in der Arbeit - in der Freundschaft - bei den Eltern
- Ich mein, durch mein Engagement und meine Leistung, gehts uns wirtschaftlich gut
- Alle 2-3 Wochen mal Standart-Sex zu haben?? Das liegt nicht an mir!
- Ich bin gerne draussen in der Natur und gehe 3-4x die Woche meine Runden - meine Frau geht einfach nicht mit mir mir, obwohl ich sie schon so oft gebeten habe es einfach mal auszuprobieren
- Der beste Freund scheisst auf eine 20 jährige Männerfreundschaft wegen Sport?
- eine fast todkranke Mutter seit fast 15 Jahren. Zeitversetzt begann auch meine Tablettenkarriere
Die Therapeutin meint, dass ich mich in sovielen Dingen mich schon sehr verbessert habe. Schlimm ist nur, wenn man Lob und Annerkennung von einer scheinbar fremden Person bekommt und nicht von Menschen, wo man es sich wünscht oder sogar erwarten darf.
Naja, willkommen in unserer Zeit und Gesellschaft

Ohne Scherz: Den ersten Satz kann ich auch für mich so unterschreiben.
Ich hab aber mittlerweile erkannt, daß ich mir einen Teil dieses Drucks selbst erzeuge. Wenn ich mal wirklich etwas langsamer mache und mir die Reaktionen im Außen achtsam ansehe, ist das Ergebnis meistens nicht so heftig und erdrückend, wie ich es mir selbst (vorher) einrede. Den größten Teil macht bei mir mein eigenes schlechtes Gewissen aus und das Bewußtsein um eine Vergangenheit, in der das alles (vermeintlich?) besser geklappt hat.
Die Frage ist allerdings auch bzw. speziell hier:
Haben wir in der Vergangenheit vielleicht über unseren (langfristigen) Möglichkeiten gelebt und gehandelt?
Haben wir in der Vergangenheit ein Leben gelebt und uns aufgebaut, für das wir so eigentlich nicht geschaffen sind? Zuviel Hektik, zuviel Multitasking, zu viele Verpflichtungen, zuviel Verantwortung, zuviel Perfektionismus... usw. usf. ?
Es ist schwer, da auf einen niedrigeren Level zurückzukommen, wenn sich alles in einem einerseits daran gewöhnt hat, andererseits ein großer Teil von uns innerlich dagegen rebelliert...
(Und PS: Der letzte Sex mit meiner Frau liegt locker ein halbes Jahr zurück...

)
Nochmal - ich sehe absolut keinen Vorteil wenn es mir nicht gut geht und ich beschwöre das (wenigstens bewußt) nicht herauf.
Auch das geht mir genauso.
Ich habe allerdings erkannt, daß mir Depression und Angststörung regelmäßig einen Vorwand liefern, nicht dauernd funktionieren zu müssen...
Ich könnte zwar bewußt gut drauf verzichten, aber ein Teil meines Unterbewußtseins scheint mir da ein Schlupfloch gebaut zu haben.
Denk mal drüber nach, ob so etwas in der Richtung vielleicht auch für Dich gilt.
ich lass es jetzt, sonst rede ich mich in Rage.
Alles gut, muß auch mal sein

Immer nur runterschlucken ist scheiße und macht auch depri.
LG
