Hallo
Naturefreak40
Sorry für mein spätes "Zuschalten" - die letzten zwei drei Wochen waren leider ziemlich voll.
Ich habe mir Deine Texte aufmerksam durchgelesen, und zunächst einmal tut es mir sehr leid für die Verluste, die Du letztes Jahr erfahren hast und verkraften mußt. Beide Eltern zu verlieren und insgesamt auch die Schwiegereltern - ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen, daß das schwer zu verarbeiten ist. Meine Mutter ist vor 13 Jahren gestorben, mein Vater lebt noch, ist aber immerhin auch schon 74 und zunehmend angeschlagen - mir graut es vor dem Tag, an dem er die Augen zumacht... Nachdem ja auch meine Großeltern alle schon lange gestorben sind, rückt man selbst dann unvermeidlich zur "alten" Generation auf; "die Einschläge kommen endgültig und unaufhaltsam näher", wie es so schön heißt.
Umgekehrt freut es mich, daß Du einen neuen, offenbar sehr guten und einfühlsamen Therapeuten gefunden hast, der Dir durch die jetzige Phase hindurchhelfen kann.
Daß er gleichzeitig fast schon zu einem Freund wird, betrachte ich auch ein wenig skeptisch - das hat sowohl Vor- als auch Nachteile.
Gleichzeitig kann man aber auch festhalten, daß das Bedürfnis und Erfordernis, sich jemandem anzuvertrauen und auszuquatschen, menschlich und absolut normal und natürlich ist. In vergangenen Zeiten gab es dafür die (Groß)Familie und echte Freunde; in modernen und weitläufigeren Zeiten, in denen all solche Leute schnell über das halbe Land, Europa oder die ganze Welt verteilt und auch in der Freizeit vielbeschäftigt sind, geht das so einfach nicht mehr. Seitdem haben Therapeuten erst recht einen rasant steigenden Zulauf.
Ich habe meinerseits die Erfahrung gemacht, daß die 45-60 Minuten Gesprächszeit beim Therapeuten allerdings häufig gerade mal ausreichen, ordentlich aufzutauen und ein Thema anzugehen - sobald es dann "spannend" wird, ist die Zeit meistens um gewesen. So gesehen ist es für Dich evtl. wirklich von Vorteil, wenn Du und Dein Therapeut euch so gut versteht und anfreundet, daß Du ihn auch außerhalb der offiziellen Therapiestunden ansprechen und um Rat bitten darfst und kannst. Ich weise allerdings darauf hin, daß eine enge Bekanntschaft und erst recht Freundschaft immer auf Gegenseitigkeit beruhen muß! => Sofern noch nicht geschehen, solltest Du ihm für den Fall, daß es sich bei euch auch zunehmend in den privaten Bereich ausdehnt, unbedingt mal "bei nem Bierchen" anbieten, bei Bedarf auch für ihn so da zu sein, wie er für Dich!
Letztlich, wie gesagt, übernehmen Therapeuten in sehr vielen Fällen eigentlich "nicht viel mehr" als die Rolle von Freunden "von damals" (ohne das herunterspielen zu wollen!, so ist es nicht gemeint!

) : Für einen da sein, zuhören, beim Reflektieren helfen, mal einen Ratschlag geben. Der Vorteil eines Therapeuten besteht darin, daß er wirklich "von weit außen" auf einen guckt und damit sehr objektiv ist. Der Nachteil im Gegenzug ist, daß er einen selbst nach einem halben Jahr regelmäßiger Gesprächsstunden womöglich lange nicht so gut kennt, wie es individuell hier und da eventuell erforderlich sein könnte.
Von daher, mein Rat an Dich hier:
Versuche, wirklich das Beste und Schönste aus dieser Gelegenheit für Dich und euch als angehende Freunde zu machen

Nur gehe es wie gesagt auch behutsam und sensibel an - wie Du selbst sagst, sind Menschen zunehmend unflexibel, je älter sie werden - nimm also Deinerseits auch Rücksicht und erwarte zunächst einmal nicht zuviel - echte Freundschaft muß sich entwickeln und braucht Zeit!
Was Dein anderes großes Thema mit Deiner Frau und speziell der Sexualität angeht, bin ich kein guter Ratgeber, fürchte ich:
Der letzte Sex zwischen meiner Frau und mir liegt locker 2-3 Jahre (!) zurück - trotzdem sind wir soweit zufrieden und lieben uns. Ob ich im romantisch verklärten Sinne glücklich bin - oder auch meine Frau -, weiß ich nicht - wahrscheinlich nicht

Aber wenn wir uns im Freundes- und Bekanntenkreis umsehen, machen wir zunehmend die Erfahrung, daß es "echtes, dauerhaft romantisches" Glück in einer Beziehung nur in Hollywood-Filmen gibt - oder man zieht wirklich nen 6'er mit Zusatzzahl im Lotto in der Hinsicht. Haben wir beide nicht. Aber man kann auch mit nem 5'er oder 6'er ohne Zusatzzahl zufrieden und manchmal glücklich sein, um mal in diesem Bild zu bleiben
Dabei haben wir jetzt auch nicht die Riesenüberschneidungsmenge an gemeinsamen Interessen. Aber wir sind sensibel und empathisch genug, auf den anderen einzugehen, an seinen Interessen und Freuden teilzuhaben und einander so zu geben, was wichtig ist.
Denke ich.
Offenbar.
Sonst wären wir sicher nicht mehr zusammen - insbesondere aufgrund meiner Depris seit über 10 Jahren
Kurz:
Auch hier ist ein pauschaler Ratschlag schwierig, und ein Beziehungsexperte bin ich absolut nicht.
Mach - wie so oft - grundsätzlich, was Dir Dein Bauch und Dein Herz raten.
Aber wie Tired und Victoria schon geschrieben haben: Achte darauf, nicht einseitig zuviel von Deiner Frau zu fordern! Den Brief halte ich in der vorliegenden Form tatsächlich auch nicht für den geschicktesten Zug, weil Deine Frau nun "bei Bedarf" jederzeit vor Augen hat, was Dir "nicht paßt" - sie im Gegenzug hatte keine gleichberechtigte Gelegenheit, sich bei Dir auszukotzen. Und ja: Streng objektiv und unemotional hat sie die Möglichkeit natürlich, keine Frage

- aber wir sind alle Menschen und bei solchen Dingen in der Regel wenig objektiv und meistens sehr emotional. Wenn Du da noch etwas retten willst, kommst Du meiner Meinung nach ab sofort nur mit sehr viel Empathie, Auf-sie-zugehen-und-eingehen weiter - vorzugsweise mit externer Moderation durch einen Therapeuten.
Naja - dafür, daß ich zu dem Thema eigentlich nicht viel sagen wollte bzw. zu sagen habe, ist es dann doch ne Menge Text geworden :lol: Ich hoffe, Du siehst es mir nach. Insbesondere, weil es Dir in Deinem Dilemma wahrscheinlich kaum weiterhilft.
Aber gerade so eine Sache wie Trennung, Scheidung, und dann auch noch nach soo langer Zeit, ist immer schwer und heftig. Und ob man den Schritt geht oder nicht, hängt meiner persönlichen Erfahrung nach sehr stark vom empfundenen Verhältnis aus "Angst vor der Trennung und dem Ärger" vs. "Hoffnung, daß es danach besser wird" vs. "Leidensdruck" ab. Meine Angst ist da sehr groß, meine Hoffnung sehr gering; gleichzeitig ist der Leidensdruck allerdings nicht (mehr) so immens groß => ergo kommt eine Trennung für mich nicht in Frage. Wie beschrieben, haben wir uns zusammengerauft, den größten gemeinsamen Nenner gefunden, und mit dem können wir beide gut und zufrieden leben
Je nachdem, wie Deine Beurteilung dieser "Gleichung" für euch/Dich aussieht, kommst Du zu einer anderen Schlußfolgerung für Dich.
Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Kraft, Mut, Akzeptanz und vor allem (Selbst)Liebe für diese schwierige Zeit, und daß es schnell klarer, besser und wieder schöner wird, auf welche Weise auch immer
Liebe Grüße,
Alex