RE: klein
RE: klein
Habe ich eigentlich mal erzählt, wie ich den Auszug von meinem immer drohenden, manchmal tobenden, stets so überlegen tuendem Ehemann damals geschafft habe?
Ich kehrte an jenem Abend vom Geburtstag meiner Mutter zurück, zu dem er wieder einmal nicht gekommen war (bucklige Verwandtschaft seiner Meinung nach). Ich hatte meine Mutter gefragt, ob ich am kommenden Tag in mein altes Zimmer einziehen dürfte. Sie war platt, stimmte aber ohne zu zögern zu. Mein Vater sagte zunächst nichts. Ich fuhr nach Hause und war fürchterlich aufgeregt. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion, brachte aber wie jeden Abend ersteinmal das Kind zu Bett.
Ich habe ihm beim Zusammenlegen der Arbeitsanzüge ganz beiläufig gesagt, dass ich ihn nicht mehr liebe, dass ich mir alles ganz genau und gut überlegt habe und ihn MORGEN verlassen werde. Dann habe ich den völlig verdutzten Mann im Wohnzimmer hocken lassen - da hockte er immer und guckte ins Fernsehen, während ich bügelte und unsere Wäsche faltete. Im Laufe meines Vortrages hatte er nichts einzuwenden, senkte schließlich den Kopf und bedeckte den Teppich mit einem See aus Tränen. Ich kannte diesen Mann wie gesagt fast 12 Jahre, und da sah ich ihn das allererste Mal hemmungslos weinen. Und weißt Du was, ich verspürte den Drang loszulachen! Was hatte dieser Mensch mich all die Jahre gequält, wieviel Angst hatte er mir gemacht. Nun saß er da und flennte wie ein Kind. Lächerlich fand ich das!
Ich hatte aber immer noch Herzklopfen bis zum Hals, denn ich hatte mit Prügel oder zumindest mit Toben gerechnet. Nix dergleichen geschah. Der Mann war einfach nur völlig verzweifelt. Er ist mir dann ins Schlafzimmer nachgegangen, wo ich darum bat, in Ruhe gelassen zu werden, weil ich MORGEN einen anstrengenden Tag vor mir hätte. Er hat gefleht, gebettelt und geheult. Je mehr er weinte, desto ruhiger wurde ich. Irgendwann verschwand er wieder - und ich konnte tatsächlich ruhig einschlafen. Da wusste ich, dass ich tatsächlich völlig leer war, keine Empfindungen mehr für ihn hatte.
Vom Auszug hat er nichts mitbekommen. Ich habe den ganzen Hausrat dagelassen (meine Tochter war da 1,5 Jahre alt). Nachdem ich das Kind wie jeden Tag fertig gemacht hatte, habe ich das Auto genommen und sie zu meinen Eltern gefahren. Mein Vater bot mir zwar an, mir beim Packen zu helfen, aber ich habe lieber alles allein gemacht. Ich habe meine persönlichen Sachen geholt und es vermieden, meinem Ex nochmal über den Weg zu laufen.
Auch das Kinderzimmer habe ich allein auseinandergepflückt und ins Auto geschafft. Je mehr ich einpackte, desto sicherer war ich mir, dass es endgültig vorbei war - und ich wurde regelrecht euphorisch. Erstmals seit Jahren war ich zufrieden mit mir und der Welt. Ich wusste, heute fängt ein neues Leben an.
Nach der letzten Fuhre habe ich ihm den Autoschlüssel übergeben (er arbeitete in der Firma unterhalb der Wohnung) und ihm Lebewohl gesagt. Es folgten vergebliche Versuche seiner Familie, insbesondere seines Bruders, noch ein Einlenken von meiner Seite zu bewirken. Ich wollte nicht mehr. Wir haben nach einigem Hin und Her die Scheidung auf den Weg gebracht, denn ich merkte schnell, dass er ohne ein Urteil nie aufhören würde zu bohren und die Sache als abgeschlossen zu betrachten.
Wir nahmen einen gemeinsamen Anwalt, einigten uns im Vorfeld über Unterhalt und Wertausgleich für die diversen Anschaffungen im Verlauf unseres gemeinsamen Lebens. Das alles geschah im November. Im Mai darauf hielt ich das rechtskräftige Scheidungsurteil in den Händen. Eigentlich hätte die erste und einzige gerichtliche Zusammenkunft lediglich eine Anhörung sein sollen. Aber der Richter meinte, bei soviel Einigkeit sei es nicht nötig, noch einen Termin anzuberaumen und diktierte direkt das Urteil. Mein Ex war wiederum völlig überrumpelt. Ich bin danach ganz normal zur Arbeit gefahren.
Wir haben übrigens gemeinsame Sorge, daher sehen wir uns fast zwangsläufig immer noch, wenn er seine Tochter abholt am Wochenende. Hin und wieder gibt es kleinere Konflikte um die Kindererziehung, aber er weiß eigentlich, dass ich als Mutter, bei der das Kind lebt, die Zügel in der Hand halte und sein Einfluss relativ beschränkt ist. Das ist nach all den Jahren der Bevormundung von seiner Seite eine gute Erfahrung.
Inzwischen weiß ich, warum ich damals so versessen darauf war, mit diesem Mann mein Leben zu fristen und warum ich so lange brauchte, einen Schlussstrich zu ziehen. Selbstverständlich habe ich an all den Jahren noch viel zu verarbeiten gehabt. Manche Verletzungen sind immer noch nicht ganz verdaut.
Ich habe diesen harten Schnitt nie bereut, auch wenn ich mir sicher nicht vorgestellt habe, mein Kind nur eingeschränkt selbst erziehen zu können, als ich es bekommen habe. Es stand für mich nie zur Debatte, mich von einem wie auch immer gearteten Unterhalt abhängig zu machen. Schließlich hatte ich vor der Elternzeit auch mein Geld selbst verdient. Viele Freundinnen haben mir damals geraten, nicht wieder arbeiten zu gehen und mir den Lebensunterhalt notfalls vom Sozialamt zu holen. Das kam für mich nie in Frage. Ich bin heute froh, ein normales Familienleben zu führen, und absolut sicher, dass ich für mich und mein Kind gar nicht hätte besser entscheiden können.
Mut war sicher nötig. Aber die Zeit davor hat sehr viel mehr Kraft gekostet, als das Ziehen des Schlussstriches selbst. Der war dageben das reinste Vergnügen.
Ich wünsche allen Frauen in ähnlichen Beziehungen einen klaren Blick für das Machbare und den Mut, den meist ja nicht von heute auf morgen gefundenen Lösungsweg zu gehen. Mancher wird sich veilleicht dann wundern, wie einfach die Durchführung im Vergleich zur Überwindung ist, tatsächlich Konsequenzen zu ziehen.
Liebe Grüße
Anke