Re: Pflegeheime und Demenz - Erfahrungen
Sehr geehrte Erbsenkugelfisch (übrigens ein sehr lustiges Anonym),
bei allem Respekt muss ich Ihnen auch etwas entgegensetzen. Auch ich bin Betreuerin und Mitpflegerin meines jung erkrankten Vaters, wir wohnen alle in einem Haus. Ich bin für den medizinischen Teil zuständig, und darüber hinaus in gewisser Weise ein Sensibelchen, welches sehr genau beobachtet, quasi jede Regung, Bemerkung, Blicke, und vor allem auch kleinste Änderung. Wir haben auch schon einiges durchgemacht, und glücklicherweise geht es meinem Vater nach all den Jahren in gewisser Weise noch einigermaßen "gut". Insofern, dass er noch bei uns daheim sein kann, und wir noch viele Sachen unternehmen können und sogar viel Spaß zusammen haben. Aber würden Sie meinen Vater sehen, und vor allem in ein paar vergangenen Phasen gesehen haben, würden Sie ihn wohl komplett anders einschätzen, eben so wie die meisten und leider auch viele Ärzte und Fachpersonen. Es besteht nämlich sehr wohl die Gefahr, alles auf den dementiellen Prozess insofern zu schieben, als dass man davon ausgeht dass alles was sich verschlechtert automatisch Fähigkeiten sind die nun für immer verloren gegangen sind, als auch dass emotionale, biochemisch gesteuerte Phänomene als psychologische Folge gedeutet werden. Ich mag ja ein absoluter Laie sein, aber ich glaube hier mit Gewissheit nicht nur von und für meinem Vater sprechen zu können; Aggressionen etc. kommen in den allermeisten Fällen nicht durch einfache Frustration, sondern sind biochemisch hirngesteuert. Auch andere Folgen einer Hirnerkrankung sind sicherlich fortschreitend, aber durch Überdosierung bzw. überhaupt dem Einsatz der Medikamente beschleunigt, bzw. restliche Fähigkeiten behindert. Das muss man einfach mal festhalten, auch wenn es einfach ist bei Demenz-Erkrankungen den Patienten einfach in eine Schublade zu stecken und alles auf den Verfall zu schieben. Und Sie sollten Verständnis haben, wenn man als liebender Angehöriger bemerkt und darunter leidet, dass es anderen Personen relativ egal ist, wie es z.B. dem Papa geht, ist ja alles durch einen Arzt abgesegnet.
Ich finde es schön, wie manche Menschen sehr einfühlsam auf andere eingehen können und in ihrer Arbeit Dinge für Menschen tun, die eigentlich mit Gold bezahlt werden müssten, aber man muss auch festhalten, dass viele in ihrer Arbeit aufgehen, nicht nur Menschen die im Sozialbereich arbeiten, und auch nicht den ganzen Tag Lob ernten, im Gegenteil. Ich denke, da bekommt man bei der Arbeit "am Menschen" sogar noch mehr zurück an Bestätigung. Übrigens wurde auch mir einmal von einer Ärztin gesagt "Sie haben Ihrem Vater schon genug erspart".... das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Die kannte mich gar nicht, hat nur gemerkt, dass ich mich mit der Sache beschäftige und die verträglichste Lösung suche (sie wollte meinem Vater übrigens ein falsche Medikament geben), und konnte wohl nicht nachvollziehen, wie man sich überhaupt um einen kranken Menschen so kümmern kann. Möchte damit sagen, ich brauche kein schlechtes Gewissen haben, wir tun wirklich alles für meinen Vater, und trotzdem mache ich mir die gleichen Gedanken wie Leona und kann absolut nachfühlen. Sicherlich bereut Leona, dass sie ihren Vater nicht selber noch mehr beistehen kann, aber das ist kein Grund davon auszugehen, dass sie andere Menschen für den Verlauf der Krankheit beschuldigt. Es läuft einfach vieles schlecht, das ist Fakt, auch wenn es Pflege-Engel gibt.
Freundliche Grüße, Flieder