Curtis_Newton
New member
Es ändert sich gerade alles um mich rum. Nicht in Bezug auf meine Frau. Die steckt in ihrer Arbeit drin und in den anderen Dingen, von denen sie sich stressen lässt.
Meine Kinder waren fast jeden Tag mal kurz bei mir. Mein Sohn (der an der Schwelle der Pubertät steht und eigentlich den ganzen Tag mit Coolsein beschäftigt ist) kuschelt sich bei mir mit auf's Sofa und wir schauen Lucky Luke zusammen an. Meiner Tochter helfe ich bei Mathe, Physik, Chemie, Informatik und so weiter. Mit den beiden ist bis jetzt alles gut.
Meine Arbeit steht vor einem sehr großen Umbruch. Als ich vor zwölf Jahren Leiter meiner Abteilung wurde, bestand die aus 36 Leuten. Heute sind es noch 20. Die Digitalisierung fordert ihren Zoll. Mir macht die Arbeit aber sehr viel Spaß, und ich bin durchaus stolz auf meine Leute und mich, dass wir heute viele Dinge besser hinkriegen als vor 12 Jahren, weil wir ausgemistet, optimiert und konzentriert haben.
Dieses Jahr haben wir eine weitere Reduktion um drei Stellen geplant: Zwei Mitarbeiter wechseln in andere Abteilungen, einer geht vorzeitig in den Ruhestand. Vorletzte Woche haben mir die Eigentümer aber mitgeteilt, dass ein Bereich unseres Unternehmens verkauft wird, der genau die Hälfte meiner Abteilung betrifft. Wir werden nicht auf 17 Mitarbeiter reduzieren, sondern auf neun. Acht Kollegen werden gekündigt. Ich muss die Kündigungsgespräche führen, Anhörungsbögen für den Betriebsrat schreiben, Argumentationen für's Arbeitsgericht.
Ich halte das alles aus. Die Kollegen, die gekündigt werden, haben sehr gute Chancen, noch während der Freistellung in der Kündigungsfrist gute neue Jobs zu finden. Hinterher werde ich aber nicht mehr Chef der Abteilung sein. Sie ist dann zu klein für einen Leiter meiner Gehaltsklasse. Mir wäre eine Herabstufung eigentlich egal, aber unser Eigentümer ist vom alten Schlag. Auch im unteren Management kann er es nicht leiden, wenn die Leute keinen Biss und keinen Aufstiegswillen zeigen. Ich habe keine Ahnung, was das genau für mich bedeuten wird, aber ich kann mir nicht vorstellen in eine andere Abteilung zu wechseln.
Eine große Stütze bei dieser Arbeit ist meine Assistentin F. Sie ist seit fast 16 Jahren in der Firma und hatte in meiner damaligen Abteilung als Auszubildende angefangen. Ich war wohl so der dritte Mensch, mit dem sie hier zu tun hatte, und wir hatten von der ersten Sekunde an einen sehr sehr guten Draht zueinander - ich fand es ganz gut, dass ich damals nicht ihr Chef war. Wir haben uns angefreundet. Sie macht in der Zwischenzeit nicht nur Assistenz-Aufgaben, sondern ist auch Projektmanagerin, seit zwölf Jahren in meiner Abteilung. Sie hat in der Zeit drei Kinder bekommen und ein Haus gebaut, arbeitet jetzt in 75 Prozent Teilzeit für mich. Sie ist warmherzig und gleichzeitig unter Stress total cool und überlegt. Sie kommt mit allen Kollegen in der Firma gut zurecht, außer mit Leuten, die sie als karrieregeile Schnösel bezeichnet. Mit dieser Einstufung ist sie extrem treffsicher: Sie erkennt das meistens ein halbes Jahr vor mir. Sogar das lesbische Pärchen, das bei uns arbeitet, und das mit der halben Firma verkracht ist, findet F. toll. F. gehört zu den Frauen, die außer Deo, guter Seife, Shampoo und einer Bodylotion mit Ingwernote keinerlei Kosmetika besitzen oder verwenden. Sie gibt überhaupt kein Geld für neue Klamotten aus, sondern deckt sich ausschließlich in Second-Hand-Shops ein. Die meisten Kollegen aus anderen Abteilungen würden sie als Ökotusse einstufen. Mir sind solche Kategorien egal. Was für mich zählt, ist die Art, wie sie ihre Nase kraus zieht, wenn sie verschmitzt lacht. Dass sie es hundertprozentig bemerkt, wenn ich etwas auf dem Herzen habe. Dass sie wie ein alter Freund vorschlägt, zusammen einen Schnaps zu trinken und sich meine Geschichte anzuhören. Oder beim Schnaps gemeinsam zu schweigen.
Für mich zählt nicht, dass die meisten Kolleginnen, die sie nicht kennen, sie für ein hässliches Entlein halten. Für mich zählt, wie sie sich bewegt, wie sie morgens ihre rotblonde Mähne aus der Mütze schüttelt. Dass ich an fast jeder ihrer Bewegungen sehen kann, dass sie eine ausgebildete Tänzerin ist. Wie sie riecht, wenn sie mich in den Arm nimmt. In den letzten zwei Wochen hat sie das oft getan.
F. hat mich gebeten, ihr frühzeitig zu sagen, wenn ich einen Plan entwickle und das Unternehmen verlasse. "Damit du nicht allein zurückbleibst, oder? Du willst dir rechtzeitig auch was anderes suchen."
"Nein, damit ich mit dir herausfinden kann ob ich mit dir gehen kann."
"Vielleicht mache ich was ganz anderes. Vielleicht werde ich Hippie in Portugal oder gleich in Indien und häng nur noch nackt am Strand rum."
"Das wär' perfekt. Nimm mich mit!"
Das klingt jetzt theatralisch. Und ich muss mir das selber erst richtig eingestehen. Ich liebe diese Frau seit 16 Jahren, und am Freitag hat sie mich zum erstenmal geküsst.
Dabei habe ich ihr nichts vom Auszug erzählt, nichts von den Problemen, die ich mit meiner Frau habe. Wir haben auch nicht darüber gesprochen, was an ihrem Leben falsch sein könnte.
Wenn ich hier sitze, das aufschreibe, und darüber nachdenke, was ich an F. mag, und was an ihr alles anders ist als an meiner Frau, dann schüttelt es mich und die Tränen schießen mir in die Augen. Ich weiß, dass mein Urteilsvermögen durch die Trennung getrübt ist. Aber gleichzeitig weiß ich schon immer, wie wunderbar ich F. finde. Ich muss die ganze Zeit daran denken, dass sie irgendwann gesagt hat "Mein Mann hat mir noch nie Blumen geschenkt. Für's Blumenschenken fehlen dem irgendwelche Enzyme." Das kann doch nicht sein, dass das so gut zusammenpasst.
Nein, es passt auch nicht gut zusammen. Wir werden sicher kein buntes Fünfkinder-Patchwork werden. Weil meine Frau da nicht reinpasst.
Morgen früh geht es weiter. Drückt mir die Daumen!
Meine Kinder waren fast jeden Tag mal kurz bei mir. Mein Sohn (der an der Schwelle der Pubertät steht und eigentlich den ganzen Tag mit Coolsein beschäftigt ist) kuschelt sich bei mir mit auf's Sofa und wir schauen Lucky Luke zusammen an. Meiner Tochter helfe ich bei Mathe, Physik, Chemie, Informatik und so weiter. Mit den beiden ist bis jetzt alles gut.
Meine Arbeit steht vor einem sehr großen Umbruch. Als ich vor zwölf Jahren Leiter meiner Abteilung wurde, bestand die aus 36 Leuten. Heute sind es noch 20. Die Digitalisierung fordert ihren Zoll. Mir macht die Arbeit aber sehr viel Spaß, und ich bin durchaus stolz auf meine Leute und mich, dass wir heute viele Dinge besser hinkriegen als vor 12 Jahren, weil wir ausgemistet, optimiert und konzentriert haben.
Dieses Jahr haben wir eine weitere Reduktion um drei Stellen geplant: Zwei Mitarbeiter wechseln in andere Abteilungen, einer geht vorzeitig in den Ruhestand. Vorletzte Woche haben mir die Eigentümer aber mitgeteilt, dass ein Bereich unseres Unternehmens verkauft wird, der genau die Hälfte meiner Abteilung betrifft. Wir werden nicht auf 17 Mitarbeiter reduzieren, sondern auf neun. Acht Kollegen werden gekündigt. Ich muss die Kündigungsgespräche führen, Anhörungsbögen für den Betriebsrat schreiben, Argumentationen für's Arbeitsgericht.
Ich halte das alles aus. Die Kollegen, die gekündigt werden, haben sehr gute Chancen, noch während der Freistellung in der Kündigungsfrist gute neue Jobs zu finden. Hinterher werde ich aber nicht mehr Chef der Abteilung sein. Sie ist dann zu klein für einen Leiter meiner Gehaltsklasse. Mir wäre eine Herabstufung eigentlich egal, aber unser Eigentümer ist vom alten Schlag. Auch im unteren Management kann er es nicht leiden, wenn die Leute keinen Biss und keinen Aufstiegswillen zeigen. Ich habe keine Ahnung, was das genau für mich bedeuten wird, aber ich kann mir nicht vorstellen in eine andere Abteilung zu wechseln.
Eine große Stütze bei dieser Arbeit ist meine Assistentin F. Sie ist seit fast 16 Jahren in der Firma und hatte in meiner damaligen Abteilung als Auszubildende angefangen. Ich war wohl so der dritte Mensch, mit dem sie hier zu tun hatte, und wir hatten von der ersten Sekunde an einen sehr sehr guten Draht zueinander - ich fand es ganz gut, dass ich damals nicht ihr Chef war. Wir haben uns angefreundet. Sie macht in der Zwischenzeit nicht nur Assistenz-Aufgaben, sondern ist auch Projektmanagerin, seit zwölf Jahren in meiner Abteilung. Sie hat in der Zeit drei Kinder bekommen und ein Haus gebaut, arbeitet jetzt in 75 Prozent Teilzeit für mich. Sie ist warmherzig und gleichzeitig unter Stress total cool und überlegt. Sie kommt mit allen Kollegen in der Firma gut zurecht, außer mit Leuten, die sie als karrieregeile Schnösel bezeichnet. Mit dieser Einstufung ist sie extrem treffsicher: Sie erkennt das meistens ein halbes Jahr vor mir. Sogar das lesbische Pärchen, das bei uns arbeitet, und das mit der halben Firma verkracht ist, findet F. toll. F. gehört zu den Frauen, die außer Deo, guter Seife, Shampoo und einer Bodylotion mit Ingwernote keinerlei Kosmetika besitzen oder verwenden. Sie gibt überhaupt kein Geld für neue Klamotten aus, sondern deckt sich ausschließlich in Second-Hand-Shops ein. Die meisten Kollegen aus anderen Abteilungen würden sie als Ökotusse einstufen. Mir sind solche Kategorien egal. Was für mich zählt, ist die Art, wie sie ihre Nase kraus zieht, wenn sie verschmitzt lacht. Dass sie es hundertprozentig bemerkt, wenn ich etwas auf dem Herzen habe. Dass sie wie ein alter Freund vorschlägt, zusammen einen Schnaps zu trinken und sich meine Geschichte anzuhören. Oder beim Schnaps gemeinsam zu schweigen.
Für mich zählt nicht, dass die meisten Kolleginnen, die sie nicht kennen, sie für ein hässliches Entlein halten. Für mich zählt, wie sie sich bewegt, wie sie morgens ihre rotblonde Mähne aus der Mütze schüttelt. Dass ich an fast jeder ihrer Bewegungen sehen kann, dass sie eine ausgebildete Tänzerin ist. Wie sie riecht, wenn sie mich in den Arm nimmt. In den letzten zwei Wochen hat sie das oft getan.
F. hat mich gebeten, ihr frühzeitig zu sagen, wenn ich einen Plan entwickle und das Unternehmen verlasse. "Damit du nicht allein zurückbleibst, oder? Du willst dir rechtzeitig auch was anderes suchen."
"Nein, damit ich mit dir herausfinden kann ob ich mit dir gehen kann."
"Vielleicht mache ich was ganz anderes. Vielleicht werde ich Hippie in Portugal oder gleich in Indien und häng nur noch nackt am Strand rum."
"Das wär' perfekt. Nimm mich mit!"
Das klingt jetzt theatralisch. Und ich muss mir das selber erst richtig eingestehen. Ich liebe diese Frau seit 16 Jahren, und am Freitag hat sie mich zum erstenmal geküsst.
Dabei habe ich ihr nichts vom Auszug erzählt, nichts von den Problemen, die ich mit meiner Frau habe. Wir haben auch nicht darüber gesprochen, was an ihrem Leben falsch sein könnte.
Wenn ich hier sitze, das aufschreibe, und darüber nachdenke, was ich an F. mag, und was an ihr alles anders ist als an meiner Frau, dann schüttelt es mich und die Tränen schießen mir in die Augen. Ich weiß, dass mein Urteilsvermögen durch die Trennung getrübt ist. Aber gleichzeitig weiß ich schon immer, wie wunderbar ich F. finde. Ich muss die ganze Zeit daran denken, dass sie irgendwann gesagt hat "Mein Mann hat mir noch nie Blumen geschenkt. Für's Blumenschenken fehlen dem irgendwelche Enzyme." Das kann doch nicht sein, dass das so gut zusammenpasst.
Nein, es passt auch nicht gut zusammen. Wir werden sicher kein buntes Fünfkinder-Patchwork werden. Weil meine Frau da nicht reinpasst.
Morgen früh geht es weiter. Drückt mir die Daumen!