Guten Morgen zusammen
Wenn ich mir die letzten zwei drei Wochen so ansehe, dann gab es da locker zehn Tage am Stück, die nahezu symptom- und beschwerdefrei waren - ich fing schon an zu glauben, es ginge stetig wieder aufwärts. Bis dann ab Donnerstag Freitag letzter Woche wieder eine kleine Talfahrt begann, die Samstag und Sonntag ihren Tiefpunkt hatte... Heute geht es wieder einigermaßen, aber gut ist anders.
In jedem Fall hatte ich Zeit, über einiges nachzudenken und ein paar Erfahrungen zu machen:
Einer der besten Tage in der Zeit war der vorletzte Samstag: Da bin ich wieder auf meinem vierstündigen Meditationkurs gewesen. Und ich habe mich in der zweiten und dritten Meditationsrunde so tiefenentspannt und zufrieden gefühlt, ich wünschte mir, es hätte ewig gehalten

Abends mit nem Freund Star Wars Zuhause vor dem Fernseher geguckt, es ging mir richtig gut, ich war entspannt, alles bestens
Der fast schon absolute Kontrastpol dazu war dann der Samstag vorgestern: Ich war schon von Donnerstag und Freitag gestreßt, hatte dann den ganzen Tag über immer wieder leichtes Streßklingeln in den Ohren, und abends waren meine Frau und ich dann mit besagtem Freund im Kino im neuen Star Wars Film. Das war quasi die komplette Reizüberflutung für mich: Schon die Fanfaren im Vorspann waren mir zu laut, wenn's mit Star Wars nicht eine meiner Lieblingsfilmreihen gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich auf manche Szenen kaum konzentrieren können, einige Szenen waren mir schlichtweg zu "rot", und als dann der Abspann lief, wollte ich u.a. angesichts der Musiklautstärke einfach nur raus aus dem Saal. Die nächsten zehn bis fünfzehn Minuten war ich extrem schweigsam, bin nur Auto gefahren, während mein Kumpel im Redefluß über den Film war und zum Glück meine Frau das aufgefangen hat. Mir war's zuviel...
Zuhause dann hab ich heulend auf dem Bett gelegen, bis meine Frau das mitbekommen und mich getröstet hat.
Dabei haben wir dann zusammen herausgearbeitet, daß ich derzeit wieder massiv reizüberflutet und überfordert bin, und das wahrscheinlich u.a. durch meine PC-Spielerei bzw. insbesondere durch ein besonders hektisches Action-Science-Fiction-Rollenspiel, daß ich in den letzten vier Wochen mit insgesamt 90 Spielstunden fast schon "gesuchtet" habe...
Meine Frau meint schon seit Jahren, ich sei computerspiel-süchtig, und der Abend bzw. das halbstündige Gespräch in der Nacht war ein kleiner Augenöffner für mich.
Ich denke zwar, daß ich nicht wirklich computerspiel-süchtig bin im pathologischen Sinne, da ich die derzeitigen Diagnose-Kriterien nicht voll erfülle. Aber bei einigen davon kann ich durchaus ein kleines Kreuzchen machen...
Der Effekt ist wahrscheinlich wirklich einfach der, daß mein Lust- und Belohnungszentrum durch das Spielen stimuliert wird und immer mehr davon möchte. Der Haken ist nur, daß die Spiele heutzutage auch immer hektischer und detaillierter werden. Genauso wie Kinofilme...
Und ich denke - jetzt schließt sich der Kreis zu etwas, was Du geschrieben hattest, Elektraa:
Mir scheint, das ist die Ernte von der Zivilisation, die wir da am Hals haben. Mir gehts auch immer wieder so, dass ich mich frage, das nennt ihr Leben?
Es ist eher ein Gehetztsein und hoffnungsloses Überfordertsein, statt Lebenslust.
=> Das ist in Summe mit allem anderen in meinem Leben einfach die totale Überforderung und Reizüberflutung. Da kommt meine Psyche schlicht nicht mehr mit, das ist zuviel. Zu grell, zu laut, zu fordernd, und insgesamt einfach... ZUVIEL!
Wer sich immer wieder die Decke über den Kopf ziehen will, der mag nicht, was er vor sich hat, was man ihm anbietet ist falsch. Der lehnt ab und sagt nein danke, mir würde etwas anderes lieber sein.
So ging's mir Samstag und vor allem gestern eben:
Der Speicher war voll, randvoll. Ende Gelände.
Ich bin vor allem gestern Vormittag immer wieder einfach nur froh gewesen, wenn ich die Augen zumachen konnte - nichts sehen, überhaupt nichts sehen. Ich hab anderthalb Stunden auf dem Bett gelegen, immer wieder gedöst und ansonsten nur versucht, die leisen Geräusche von draußen wahrzunehmen. Ich wollte nicht unbedingt schlafen - aber ich wollte einfach mit nichts vollgedröhnt werden.
Ich bin auch nicht am PC gewesen, außer um zehn Minuten am Tablet zwei Überweisungen zu machen. PC wäre auch gar nicht gegangen, ich hab das Netzkabel für die nächsten zwei bis drei Wochen meiner Frau anvertraut - auf ihre eindringliche Bitte hin freiwillig
Und: Es hat im Nachhinein betrachtet gut getan!

Ich hab mich zwar gestern trotzdem überwiegend gefühlt wie ein ausgelatschter Turnschuh, ein großer Teil von mir war unruhig, latent angespannt und ängstlich, wollte Aufregung und Trubel. Aber ein anderer, ebenfalls sehr großer Teil von mir hat die Ruhe genossen. War es froh, nicht wieder in irgendeinem Actionspiel permanent auf der Hut sein zu müssen, von den intensiven visuellen und akustischen Eindrücken ganz zu schweigen. Und da das Kabel abgezogen war und keine unmittelbare Möglichkeit bestand, den PC einzuschalten, war der Drang auch nicht so wahnsinnig groß. Klar - wenn ich nur ausreichend energisch gefragt hätte, hätte meine Frau mir das Kabel natürlich gegeben. Aber ich wollte auch gar nicht
Ich komme daher immer wieder zu dem gleichen Schluß, wie schon mehrfach:
Mein Problem ist "schlicht" Streß in Form von Überforderung und Reizüberflutung. Dummerweise bin ich es seit rund 30-35 Jahre gewöhnt, in dem Hamsterrad mitzulaufen, immer in Action zu sein, immer etwas tun zu müssen, länger als fünf Minuten stillsitzen und einfach Nichtstun, "geht" nicht... Also bin ich "Junkie" immer auf der Suche nach dem nächsten "Kick".
Blöderweise macht ein anderer Teil meines Gehirns bzw. meiner Psyche das nicht mehr mit - das Faß ist voll, die Kapazität ist erschöpft. Das wiederum löst allerdings in Bezug auf Verpflichtungen und Erwartungen dann Sorgen und Ängste aus, nicht zu genügen - "früher ging das doch auch" - mit allen Folgeängsten vor Fehlern, mangelnder Anerkennung und dem Verlassenwerden.
Damit führt für mich wahrscheinlich wirklich kein Weg daran vorbei, noch gezielter als bisher das Nichtstun zu üben. Stille und Ruhe auszuhalten und irgendwann auch außerhalb eines Meditationskurses zu genießen. Mich einfach mit ner Tasse Tee oder Kaffee in den Garten setzen und zehn Minuten lang die Natur anzusehen... das packe ich bisher nicht: Ich muß mindestens ein Buch oder mein Handy dabeihaben, oder ich lege mich zum Mittagsschlaf auf die Gartenliege (bin also auch da gewissermaßen "beschäftigt"). Aber einfach dasitzen / -liegen und nichts tun - Fehlanzeige.
Dabei merken wir gerade auch schon an unserem Sohn, wie wichtig und wertvoll so etwas für das Leben ist: Unser Sohn brachte am Freitag einen kurzen Brief der OGS-Leiterin an ihn mit, er müsse lernen stillzusitzen und keine Faxen zu machen, wenn nachmittags eine halbe Stunde Vorlesezeit von seinen OGS-Freunden ist... Und wenn wir ihn darauf ansprechen, sagt er selbst, daß er das nicht kann, daß das "langweilig" ist. Nicht, daß wir das nicht auch im Gespräch mit ihm direkt beobachten könnten...
Also haben wir seit Samstag für ihn 5 Minuten stille Kerzenmeditation auf der Treppe jeweils zusammen mit einem von uns angeordnet (also schon nicht allein, jedenfalls jetzt für den Anfang), immer samstags und sonntags jeweils (unter der Woche ist da kaum Zeit zu). Ich habe ihm gestern Abend auch nochmal genau erklärt, wie wichtig und wertvoll diese Fähigkeit ist, daß meine Krankheit unter anderem genau mit diesem Mangel zusammenhängt, daß ich wünschte, mir hätte das damals jemand beigebracht. Auch anhand des Tierreichs habe ich ihm versucht zu erklären, daß diese permanente Action eigentlich nicht natürlich ist (u.a. Löwen verbringen rund 20 Stunden des Tages liegend/schlafend und sind gerade mal 4 Stunden maximal aktiv, je nachdem, wie erfolgreich die Jagd ist).
Er ist zwar mit leichtem Widerwillen dabei, findet es immer noch langweilig. Aber der Widerstand ist doch geringer als gedacht, und er macht es immerhin mit. Ich hoffe, er findet mit der Zeit Gefallen daran, ebenso wie er es mit Traumreisen bereits tut.
(Wenn ich so darüber nachdenke, denke ich, daß eine entsprechende Einheit - kindgerecht und vernünftig aufgezogen in kleineren Gruppen - auf jedem Schulplan stehen sollte. Natürlich keine 45 Minuten, aber jeden Tag fünf Minuten. Maximal fünf Kinder, eine Kerze, ein stiller Raum, Ruhe und Stille, keine Gespräche.)
Warum muß diese Welt nur so laut, schrill und fordernd sein...?!? *Kopf-kratz-grübel-guck-betrübt*
In jedem Fall geht es mir heute schon wieder nen kleinen Ticken besser als gestern.
Ganz in Ruhe, einen Schritt nach dem anderen
LG,
Alex