RE: Schwulsein hat nur Nachteile
Lieber Olli
Tja, was soll ich da sagen?
Deine auf den ersten Blick logisch wirkende Argumentaiton (Mann hat zu wenig erogene Zonen (stimmt nicht!); Psyche der Frau ist anders (kann sein); usw.) hat einfach einen Haken: Man/Frau sucht es sich nicht aus schwul oder lesbisch zu sein!
Man merkt einfach, dass man auf Jungs/Männer steht, himmelt (selbstverständlich heimlich) Klassenkameraden an und fühlt sich dabei nicht besonders wohl (was werden meine Eltern sagen? Was passiert, wenn man "es" merkt?)
Ich kann Dir aus eigener Erfahrung sagen, dass es nicht gerade der einfachere Weg war, zu meinem Schwulsein zu stehen, z. B. hatte ich mit meinen Eltern fast 10 Jahre praktisch keinen Kontakt, nun aber geht es besser.
Was ich sagen will, ist, dass man einfach keine Wahl hat. Es gab in der Vergangenheit (und manchmal auch heute noch) Leute, meist religiös motivierte, die meinen, man können Homosexualität kurieren (so mit Elektro-Schocks oder anderen dubiosen Therapien.) Auch mit solchen Unsinn muss man sich als Schwuler/Lesbe herumschlagen.
Tatsache ist, dass es bis in die 70er Jahre im Diagnosecode für Psychiater Homosexualität als Krankheit aufgeführt wurde und manchmal auch behandelt wurde, allerdings ohne "Erfolg".
Tatsache ist auch, dass es zu allen Zeiten und in allen Kulturen Menschen gab, die sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlten. In manchen Gesellschaften wurden sie nicht gross behelligt (altes Griechenland, Rom, gewisse Naturvölker), während sie in anderen verfolgt wurden (Deutschland seit 1840 und dann besonders brutal zwischen 1936 und 1945, wo Homosexuelle allein wegen ihrer Homosexualität in KZ landeten und dort oft starben.)
Also, auf diesem geschichtlichen HIntergrund merkt ein junger Mann, dass er "anders" ist als seine Freunde. Oft hat er das Gefühl, der einzige zu sein, den es gibt. Wenn er Glück hat, findet er eine Person, der er sich anvertrauen kann, oder er liest sich durch Bücher und versucht, sich selbst zu verstehen. Vielleicht kommt es daher, dass Schwule als besonders einfühlsam, kreativ oder so gelten, denn sie wissen, wie es ist, wenn man nicht zur Mehrheit gehört.
Wäre es denn für alle Schwulen nicht viel leichter, sich rasch "umzuorientieren" als unter diesen Umständen schwul zu sein? Aber sogar zur Zeit der schlimmsten Verfolgungen in Deutschland gab es diese Veranlagung und liess sich nicht leugnen.
Daher mein Rat an Dich: Geniess Deine Sexualität mit Frauen. Ich gönne es Dir von Herzen und hoffe, dass daraus schöne und befriedigende Erlebnisse oder Beziehungen werden.
Aber auch meine Forderung: Nimm hin, dass es schwule Männer und lesbische Frauen heute so gibt wie zu allen Zeiten und setze Dich an unserer Seite für eine tolerante und akzeptierende Grundstimmung in unserer Gesellschaft ein, denn wie schnell kannst auch Du plötzlich zu einer Minderheit gehören (andere Religion, plötzliche Krankheit oder sonstwas) und bist dann froh, wenn Du nicht am Rand der Gesellschaft stehst.
Besonders freuen würde ich mich, wenn Du einmal bei einem CSD (Christopher Street Day) mitlaufen würdest. Hier die Internet-Adresse des CSD Zürich, an dem ich mitarbeite:
www.csdzh.ch
Und nun wünsche ich Dir von Herzen alles Gute und hoffe, dass Dich meine Ausführungen nicht gelangweilt haben.
Vincenzo
P.S. Etwas an diesem Forum stört mich: Es ist alles sehr anonym. Ich würde doch gerne wissen, z. B. wie alt die Leute sind, die da schreiben und ob sie aus Grossstädten oder Dörfern kommen. Das würde manche Aussage besser verständlich machen.
Allerdings möchte ich hiermit meine Beiträge zum Forum beenden, denn es gibt andere Quellen, wo man sich kompetent informieren kann.