Re: Melperon bei Demenz
Hallo Rosenmädchen;
zunächst einmal war ich sehr überrascht ob der Wut, die aus Ihrem Beitrag spricht und habe mir überlegt, was ich denn Böses in meinem Beitrag gesagt haben könnte...
Mittlerweile ist mir klar, daß Ihre Wut aus Ihren quälenden Gewissensbissen entspringt, weil Sie Ihre Eltern ins Heim geben mußten. Das kann ich verstehen, aber - Egon-Martin hat es bereits gesagt - Sie dürfen sich damit nicht selbst zerstören. Sie haben alles Menschenmögliche für Ihre Eltern getan und an irgendeinem Punkt geht es eben nicht mehr. Ich weiß doch auch nicht, wie lange ich meine Mutter zuhause pflegen kann. Sie braucht nur unglücklich zu stürzen oder einen Schlaganfall zu haben, und schon ist es vorbei. Machen Sie sich nur nicht das Leben zur Hölle. Wir alle sind in Gottes Hand. Alles, was wir tun können, ist, unseren Angehörigen unsere ganze Liebe zu geben.
Um Ihre Frage zu beantworten:
Erstens ist der Preis, den das Heim verlangt, ein Wucherpreis und in keiner Weise gerechtfertigt. Zweitens, wenn es dort so chaotisch zugeht, stellt sich die Frage, ob das ein gutes Heim ist - hoher Preis ist nicht gleichbedeutend mit hoher Qualität.
Ich habe die chaotische Situation auch erlebt. Einmal in der Kurzzeitpflege, in die ich meine Mutter 6 Wochen lang geben mußte, weil sie nach ihrem Klinikaufenthalt nicht direkt nach Hause konnte. Und dann bei einem ambulanten Pflegedienst. Ich würde meine Mutter nicht wieder in diese Kurzzeitpflege bringen und ich würde diesen ambulanten Pflegedienst auch nicht wieder beauftragen.
Ich bin, als meine Mutter 3 Wochen in der Klinik war, trotz Berufstätigkeit mindestens einmal täglich - oft sogar zweimal - hingefahren und habe mir die neuesten Infos geholt und mir meine Mutter angesehen. In der Kurzzeitpflege war ich auch täglich. Das war ein Geben und Nehmen zwischen den Pflegern und mir. Einerseits habe ich meine Mutter Spazierengeführt (und zwar draußen; den Pflegern reichte es nur, sie mal eine Ganglänge zu begleiten). Ich habe ihr Apfelsaft und andere schmackhafte Getränke besorgt, weil es dort nur Wasser gab und sie das nicht mag. Ich habe ihren Lieblingsapfelkuchen mirgebracht. Ich habe ihr beim Essen geholfen (sie war damals zu schwach und konnte das nicht allein). Ich habe auch anderen Bewohnern geholfen, die eine Flasche nicht aufbekamen oder noch Kaffee wollten. Ein Schwätzchen mit denen gehalten. Ich habe meine Mutter oft zur Toilette oder ins Bett gebracht und die Nachtschicht war froh, weil nur 2 Pflegekräfte für 2 Etagen da waren. Im Gegenzug habe ich von denen viele Tips und stets freimütige Auskünfte über Medikationen und sonstige Pflegemaßnahmen bekommen. Klar gab es da auch Exemplare, die genervt und zickig waren. An die muß man sich ja nicht wenden.
Ich bleibe dabei: Ein Demenzkranker kann nur gut gepflegt werden, wenn es um ihn herum ein funktionierendes Beziehungsnetzwerk gibt. Dazu müssen Ärzte, Pfleger und Angehörige eng kooperieren. Wo dies nicht der Fall ist, gerät der Erkrankte leicht unter die Räder.
Ich habe einmal eine Reportage vom Deutschlandfunk gehört ("Dem eigenen Ableben emotionslos zusehen", von Bernd Kempker), bei dem Reporter die Situationen in Pflegeheimen hinterfragt haben. Gemeinsam mit den Reportern studieren Pflegekräfte die Akten einzelner Bewohner und sehen dort zum ersten Mal den Verlauf.
Beispiel 1:
Eine Frau, bei der die frühere Heimleiterin den Arzt gebeten hatte, "etwas gegen ihre Antriebsarmut" zu geben, bekommt Saroten (ein Antidepressivum). Zum Schluß sogar in Überdosierung. Sie wird immer müder und lustloser. Sie ist nicht dement, kann selbst noch Auskunft geben. 'Das ist doch kein Normalzustand, wenn man immer müde ist', sagt sie. Ob sie denn mit dem Arzt gesprochen habe, will der Reporter wissen. 'Aber sie könne doch nicht zum Arzt sagen, 'Herr Doktor, ist das auch das Richtige, was Sie mir da geben' - da müsse man doch Vertrauen haben zum Arzt. Inzwischen zittert sie sehr stark - eine Nebenwirkung des Medikaments, das möglicherweise auch nach dem Absetzen nicht mehr aufhören wird.
Beispiel 2:
Ein Mann, der Protactyl in hoher Dosierung bekommt. Weil der Hausarzt es so angeordnet hat. Zuerst bekam er es niedrigdosiert, dann wurde immer weiter gesteigert. Er selbst, ebenfalls nicht dement, gibt zu, daß er schon mal Auseinandersetzungen mit Heimbewohnern habe und sehr impulsiv sei. Das sei aber seine Art, so sei er immer gewesen. Die neue Heimleiterin, die erst seit kurzem da ist, zeigt sich verblüfft und meint, 'Der Hausarzt kennt ihn doch. Und wenn er einfach so ist, dann muß man so etwas nicht geben'. Offenbar haben soziale Probleme und Eingewöhnungsschwierigkeiten im Heim dazu geführt, daß er Protactyl bekam.
Beispiel 3:
Eine Frau, bei der es in der ersten Eintragung der Heimakte heißt: 'Frau K. macht einen rüstigen Eindruck, kann alles essen, ist sehr selbständig'. Also offenbar nicht dement.
Nach 5 Tagen wird ihr, weil sie 'sehr verloren herumläuft', erstmals Haldol gegeben. Dann wird die Dosis immer weiter erhöht. Eintragungen, wie 'Frau K. reagiert nicht, ist schläfrig' - 'Will ihr was zu trinken geben. Sie jammert. Gebe ihr gleich wieder 10 Tropfen Haldol' häufen sich. Irgendwann sind es '10-20-30' Tropfen Haldol am Tag. Welch ein Wahnsinn. Endzustand nach wenigen Jahren: Die Frau liegt im Bett, rührt sich nicht mehr, fängt aber an zu schreien, wenn jemand sie berührt. Normales Altersendstadium, dachten die Pfleger immer.
Die Pfleger sind entsetzt ob dieses Verlaufs, den sie nicht kannten, weil inzwischen Heimleitung und Pfleger komplett getauscht wurden und niemand je die Patientenakte von vorne bis hinten gelesen hat.
Was sagt uns das?
Der Respekt vor den Ärzten ist viel zu groß bzw. lassen viele auch nicht mit sich reden. (Ein Pfleger sagt in der Reportage aus, man versuche schon, hinterher zu sein, um Medikamente zu hinterfragen, aber 'die Ärzte geben uns dann schon ab und zu mal einen drauf')
Ein Konglomerat aus ständig wechselnden Leitern und Pflegern verhindert, daß die Vorgeschichte der Betreuten überhaupt noch bekannt ist. Es macht sich auch niemand die Mühe, nachzusehen und Dinge zu hinterfragen. Weil die Zeit fehlt und weil oft auch gar nicht das Interesse da ist. Und weil es an Fachkräften mangelt. 'Man wird auch betriebsblind', sagt ein Pfleger. Wenn man jeden Tag diese abgestumpften Menschen sieht - wer hinterfragt da noch, ob das jetzt Demenz ist oder Haldol?
Wo keine Angehörigen sind, die den Erkrankten begleiten, geht das ganze Wissen um die Biographie und die Krankengeschichte sowieso verloren.
Mein Fazit:
Angehörige sind, abgesehen von den ganz engagierten Pflegekräften und Ärzten, die einzigen, die hier etwas bewegen können. Wenn nicht sie, wer dann? Ich kann meinen Angehörigen im Heim nicht sich selbst überlassen. Soviel ist mir inzwischen klargeworden. Und das höre ich auch immer wieder von anderen, die ihren Erkrankten bereits im Heim haben.
Und - eines muß ich auch sagen - wer als Angehöriger die Belastung auf sich genommen hat, den Erkrankten zuhause einige Jahre zu pflegen, für den dürfte es doch selbstverständlich sein, daß er seine intensive Betreuung auch im Heim fortsetzt. Wenn die Pfleger nur noch die Satt-Sauber-Pflege hinbekommen, dann muß der Angehörige eben für die Unterhaltung und die frische Luft sorgen. Zuhause haben wir das ja auch gemacht. Und der Vorteil ist doch: Es bedeutet für uns Angehörige eine Entlastung von den Alltags-Pflegethemen wie Anziehen, Waschen, Essen machen usw. Das nehmen uns andere ab. Wir können unsere Kräfte sammeln und uns bei einem Besuch im Heim voll und ganz auf die schönen Dinge konzentrieren - zumindest, solange der erkrankte Angehörige noch ein bißchen von der Umwelt mitbekommt und Freude an Spaziergängen usw. hat.
Daher stelle ich diese Forderung durchaus auch an die Angehörigen, das Beziehungsnetzwerk Arzt-Pfleger-Angehöriger am Laufen zu halten und zu tun, was nur geht. Wenn sich Heim und/oder Ärzte stur stellen, müssen Gespräche mit der Heimleitung geführt werden. Ansonsten bleibt nur der Wechsel, bevor ich mich komplett an der Situation aufreibe.
Ich spreche mit genügend Angehörigen, die ihre Demenzkranken im Heim haben und genauso verfahren. Meistens klappt das sehr gut.
Eine Bemerkung noch zum Schluß:
Mir ist bewußt, daß ich einen äußerst toleranten Chef habe, der mir meine "Eskapaden" nachsieht, wenn ich wieder einmal erst gegen Mittag im Büro aufkreuze, weil meine Mutter Zicken gemacht hat oder schlicht nicht aufstehen mochte. Meine Mutter ist nicht immer lieb und pflegeleicht. Ich glaube, ich erwähnte es bereits. Ich werde durchaus auch wüst beschimpft oder kriege ein paar "gebrezelt".
Und nun hat mir mein Chef sogar die Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes genehmigt.
Es gibt viele, denen es nicht so geht und die Beruf und Pflege nicht unter einen Hut bekommen. Oder die ein paar hundert Kilometer von den Eltern entfernt wohnen und kein großzügiges Einfamilienhaus haben, so daß die Eltern bei ihnen einziehen könnten. Oder die Familie und Kinder haben, um die sich sich kümmern müssen. Denen nichts anderes übrigbleibt, als den Angehörigen ins Heim zu bringen. Und die unendlich darunter leiden. Mir würde es ebenso gehen. In unserer Gesellschaft ist es sehr schwer geworden, die Familienstrukturen intakt zu halten. Neben dem maroden Pflege- und Gesundheitssystem ist das ein weiteres furchtbares Dilemma. Aber viele Dinge stehen eben nicht in unserer Macht.
Petra H.
Hallo Rosenmädchen;
zunächst einmal war ich sehr überrascht ob der Wut, die aus Ihrem Beitrag spricht und habe mir überlegt, was ich denn Böses in meinem Beitrag gesagt haben könnte...
Mittlerweile ist mir klar, daß Ihre Wut aus Ihren quälenden Gewissensbissen entspringt, weil Sie Ihre Eltern ins Heim geben mußten. Das kann ich verstehen, aber - Egon-Martin hat es bereits gesagt - Sie dürfen sich damit nicht selbst zerstören. Sie haben alles Menschenmögliche für Ihre Eltern getan und an irgendeinem Punkt geht es eben nicht mehr. Ich weiß doch auch nicht, wie lange ich meine Mutter zuhause pflegen kann. Sie braucht nur unglücklich zu stürzen oder einen Schlaganfall zu haben, und schon ist es vorbei. Machen Sie sich nur nicht das Leben zur Hölle. Wir alle sind in Gottes Hand. Alles, was wir tun können, ist, unseren Angehörigen unsere ganze Liebe zu geben.
Um Ihre Frage zu beantworten:
Erstens ist der Preis, den das Heim verlangt, ein Wucherpreis und in keiner Weise gerechtfertigt. Zweitens, wenn es dort so chaotisch zugeht, stellt sich die Frage, ob das ein gutes Heim ist - hoher Preis ist nicht gleichbedeutend mit hoher Qualität.
Ich habe die chaotische Situation auch erlebt. Einmal in der Kurzzeitpflege, in die ich meine Mutter 6 Wochen lang geben mußte, weil sie nach ihrem Klinikaufenthalt nicht direkt nach Hause konnte. Und dann bei einem ambulanten Pflegedienst. Ich würde meine Mutter nicht wieder in diese Kurzzeitpflege bringen und ich würde diesen ambulanten Pflegedienst auch nicht wieder beauftragen.
Ich bin, als meine Mutter 3 Wochen in der Klinik war, trotz Berufstätigkeit mindestens einmal täglich - oft sogar zweimal - hingefahren und habe mir die neuesten Infos geholt und mir meine Mutter angesehen. In der Kurzzeitpflege war ich auch täglich. Das war ein Geben und Nehmen zwischen den Pflegern und mir. Einerseits habe ich meine Mutter Spazierengeführt (und zwar draußen; den Pflegern reichte es nur, sie mal eine Ganglänge zu begleiten). Ich habe ihr Apfelsaft und andere schmackhafte Getränke besorgt, weil es dort nur Wasser gab und sie das nicht mag. Ich habe ihren Lieblingsapfelkuchen mirgebracht. Ich habe ihr beim Essen geholfen (sie war damals zu schwach und konnte das nicht allein). Ich habe auch anderen Bewohnern geholfen, die eine Flasche nicht aufbekamen oder noch Kaffee wollten. Ein Schwätzchen mit denen gehalten. Ich habe meine Mutter oft zur Toilette oder ins Bett gebracht und die Nachtschicht war froh, weil nur 2 Pflegekräfte für 2 Etagen da waren. Im Gegenzug habe ich von denen viele Tips und stets freimütige Auskünfte über Medikationen und sonstige Pflegemaßnahmen bekommen. Klar gab es da auch Exemplare, die genervt und zickig waren. An die muß man sich ja nicht wenden.
Ich bleibe dabei: Ein Demenzkranker kann nur gut gepflegt werden, wenn es um ihn herum ein funktionierendes Beziehungsnetzwerk gibt. Dazu müssen Ärzte, Pfleger und Angehörige eng kooperieren. Wo dies nicht der Fall ist, gerät der Erkrankte leicht unter die Räder.
Ich habe einmal eine Reportage vom Deutschlandfunk gehört ("Dem eigenen Ableben emotionslos zusehen", von Bernd Kempker), bei dem Reporter die Situationen in Pflegeheimen hinterfragt haben. Gemeinsam mit den Reportern studieren Pflegekräfte die Akten einzelner Bewohner und sehen dort zum ersten Mal den Verlauf.
Beispiel 1:
Eine Frau, bei der die frühere Heimleiterin den Arzt gebeten hatte, "etwas gegen ihre Antriebsarmut" zu geben, bekommt Saroten (ein Antidepressivum). Zum Schluß sogar in Überdosierung. Sie wird immer müder und lustloser. Sie ist nicht dement, kann selbst noch Auskunft geben. 'Das ist doch kein Normalzustand, wenn man immer müde ist', sagt sie. Ob sie denn mit dem Arzt gesprochen habe, will der Reporter wissen. 'Aber sie könne doch nicht zum Arzt sagen, 'Herr Doktor, ist das auch das Richtige, was Sie mir da geben' - da müsse man doch Vertrauen haben zum Arzt. Inzwischen zittert sie sehr stark - eine Nebenwirkung des Medikaments, das möglicherweise auch nach dem Absetzen nicht mehr aufhören wird.
Beispiel 2:
Ein Mann, der Protactyl in hoher Dosierung bekommt. Weil der Hausarzt es so angeordnet hat. Zuerst bekam er es niedrigdosiert, dann wurde immer weiter gesteigert. Er selbst, ebenfalls nicht dement, gibt zu, daß er schon mal Auseinandersetzungen mit Heimbewohnern habe und sehr impulsiv sei. Das sei aber seine Art, so sei er immer gewesen. Die neue Heimleiterin, die erst seit kurzem da ist, zeigt sich verblüfft und meint, 'Der Hausarzt kennt ihn doch. Und wenn er einfach so ist, dann muß man so etwas nicht geben'. Offenbar haben soziale Probleme und Eingewöhnungsschwierigkeiten im Heim dazu geführt, daß er Protactyl bekam.
Beispiel 3:
Eine Frau, bei der es in der ersten Eintragung der Heimakte heißt: 'Frau K. macht einen rüstigen Eindruck, kann alles essen, ist sehr selbständig'. Also offenbar nicht dement.
Nach 5 Tagen wird ihr, weil sie 'sehr verloren herumläuft', erstmals Haldol gegeben. Dann wird die Dosis immer weiter erhöht. Eintragungen, wie 'Frau K. reagiert nicht, ist schläfrig' - 'Will ihr was zu trinken geben. Sie jammert. Gebe ihr gleich wieder 10 Tropfen Haldol' häufen sich. Irgendwann sind es '10-20-30' Tropfen Haldol am Tag. Welch ein Wahnsinn. Endzustand nach wenigen Jahren: Die Frau liegt im Bett, rührt sich nicht mehr, fängt aber an zu schreien, wenn jemand sie berührt. Normales Altersendstadium, dachten die Pfleger immer.
Die Pfleger sind entsetzt ob dieses Verlaufs, den sie nicht kannten, weil inzwischen Heimleitung und Pfleger komplett getauscht wurden und niemand je die Patientenakte von vorne bis hinten gelesen hat.
Was sagt uns das?
Der Respekt vor den Ärzten ist viel zu groß bzw. lassen viele auch nicht mit sich reden. (Ein Pfleger sagt in der Reportage aus, man versuche schon, hinterher zu sein, um Medikamente zu hinterfragen, aber 'die Ärzte geben uns dann schon ab und zu mal einen drauf')
Ein Konglomerat aus ständig wechselnden Leitern und Pflegern verhindert, daß die Vorgeschichte der Betreuten überhaupt noch bekannt ist. Es macht sich auch niemand die Mühe, nachzusehen und Dinge zu hinterfragen. Weil die Zeit fehlt und weil oft auch gar nicht das Interesse da ist. Und weil es an Fachkräften mangelt. 'Man wird auch betriebsblind', sagt ein Pfleger. Wenn man jeden Tag diese abgestumpften Menschen sieht - wer hinterfragt da noch, ob das jetzt Demenz ist oder Haldol?
Wo keine Angehörigen sind, die den Erkrankten begleiten, geht das ganze Wissen um die Biographie und die Krankengeschichte sowieso verloren.
Mein Fazit:
Angehörige sind, abgesehen von den ganz engagierten Pflegekräften und Ärzten, die einzigen, die hier etwas bewegen können. Wenn nicht sie, wer dann? Ich kann meinen Angehörigen im Heim nicht sich selbst überlassen. Soviel ist mir inzwischen klargeworden. Und das höre ich auch immer wieder von anderen, die ihren Erkrankten bereits im Heim haben.
Und - eines muß ich auch sagen - wer als Angehöriger die Belastung auf sich genommen hat, den Erkrankten zuhause einige Jahre zu pflegen, für den dürfte es doch selbstverständlich sein, daß er seine intensive Betreuung auch im Heim fortsetzt. Wenn die Pfleger nur noch die Satt-Sauber-Pflege hinbekommen, dann muß der Angehörige eben für die Unterhaltung und die frische Luft sorgen. Zuhause haben wir das ja auch gemacht. Und der Vorteil ist doch: Es bedeutet für uns Angehörige eine Entlastung von den Alltags-Pflegethemen wie Anziehen, Waschen, Essen machen usw. Das nehmen uns andere ab. Wir können unsere Kräfte sammeln und uns bei einem Besuch im Heim voll und ganz auf die schönen Dinge konzentrieren - zumindest, solange der erkrankte Angehörige noch ein bißchen von der Umwelt mitbekommt und Freude an Spaziergängen usw. hat.
Daher stelle ich diese Forderung durchaus auch an die Angehörigen, das Beziehungsnetzwerk Arzt-Pfleger-Angehöriger am Laufen zu halten und zu tun, was nur geht. Wenn sich Heim und/oder Ärzte stur stellen, müssen Gespräche mit der Heimleitung geführt werden. Ansonsten bleibt nur der Wechsel, bevor ich mich komplett an der Situation aufreibe.
Ich spreche mit genügend Angehörigen, die ihre Demenzkranken im Heim haben und genauso verfahren. Meistens klappt das sehr gut.
Eine Bemerkung noch zum Schluß:
Mir ist bewußt, daß ich einen äußerst toleranten Chef habe, der mir meine "Eskapaden" nachsieht, wenn ich wieder einmal erst gegen Mittag im Büro aufkreuze, weil meine Mutter Zicken gemacht hat oder schlicht nicht aufstehen mochte. Meine Mutter ist nicht immer lieb und pflegeleicht. Ich glaube, ich erwähnte es bereits. Ich werde durchaus auch wüst beschimpft oder kriege ein paar "gebrezelt".
Und nun hat mir mein Chef sogar die Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes genehmigt.
Es gibt viele, denen es nicht so geht und die Beruf und Pflege nicht unter einen Hut bekommen. Oder die ein paar hundert Kilometer von den Eltern entfernt wohnen und kein großzügiges Einfamilienhaus haben, so daß die Eltern bei ihnen einziehen könnten. Oder die Familie und Kinder haben, um die sich sich kümmern müssen. Denen nichts anderes übrigbleibt, als den Angehörigen ins Heim zu bringen. Und die unendlich darunter leiden. Mir würde es ebenso gehen. In unserer Gesellschaft ist es sehr schwer geworden, die Familienstrukturen intakt zu halten. Neben dem maroden Pflege- und Gesundheitssystem ist das ein weiteres furchtbares Dilemma. Aber viele Dinge stehen eben nicht in unserer Macht.
Petra H.