Bindungsproblem
Bindungsproblem
der fleissige Abendvogel resümiert u. a. in seinem bemerkenswerten Beitrag:
……..ein mann, der die nachrichtensprecherin eva herrmann als quelle benutzt
und sich nicht wirklich mit dem auseinandergesetzt hat, worüber er spricht,
ist indiskutabel.
es macht mir, wie gesagt, dann allmählich keinen spaß mehr,
wenn noch nicht mal die begriffe geklärt sind,
die man benutzt.
ich bin wirklich bereit zu lernen und vertiefe mich z.B. gerne in die biologischen details von "der diagnostiker", weil ich mich da nicht auskenne…
abendvogel weiter:
>> was ist denn für dich "das gegebene"? auch der begriff von "natur" ist etwas, das sich der mensch ausgedacht hat….>>>
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der Ursprung einer jeden Information liegt in der Natur.
Somit ist für einen "Diagnostiker" wie mich, die präzise Beschreibung der Natur das allerwichtigste, denn
Profs. Edelmann/Tononi: „Das Sein kommt vor seiner Beschreibung, die Selektion kommt vor der Logik, und was das Denken (menschliche) anbelangt, so kommt Handeln vor dem Verstehen“
Weil es den freien Willen im historischen Sinn nicht gibt, muss man eine Reihe von Fragen (es sind sieben sehr Wichtige - s. u. im Singer Text) zufriedenstellend beantwortet haben.
dazu ein Text von Prof. Wolf Singer, Direktor des Max Planck Institutes für Hirnforschung in FFM:
„Entgegen der Vermutung Descartes, dass es irgendwo im Gehirn ein singuläres Zentrum geben müsse, in dem alle Informationen zusammenkommen und einer einheitlichen Interpretation zugeführt werden
- einen Ort an der Spitze der Verarbeitungspyramide, wo das innere Auge die Welt und sich selbst betrachtet -,
entgegen dieser plausiblen Annahme erbrachte die Hirnforschung den BEWEIS,
dass ein solches Zentrum NICHT!!! existiert.
Brodmann`s Vermutung hat sich bestätigt, er folgerte schon zu Beginn dieses Jahrhunderts aus seiner Entdeckung funktionell und anatomisch abgrenzbarer Hirnrindenareale:
»Wir müssen daher die Annahme, dass eine Verstandesleistung oder ein Gemütsvorgang ……... in einem einzelnen umschriebenen Rindenteile zustande komme, mag man diesen nun »Assoziationszentrum« oder »Denkorgan« oder ähnlich nennen, als eine ganz unmögliche psychologische Vorstellung ablehnen.«
Uns stellt sich heute das Gehirn als extrem distributiv organisiertes System dar, in dem zahllose Teilaspekte der einlaufenden Signale parzelliert und parallel abgearbeitet werden.
Zwar stehen alle Zentren miteinander über mächtige und reziproke Bahnverbindungen in intensiver Wechselwirkung, aber es ist völlig unklar, wie ein derart parallel organisiertes System dazu kommt, das Bild einer kohärenten Wahrnehmungswelt zu entwerfen und sich insgesamt zielgerichtet zu Verhalten.
Ja, es ist noch nicht einmal klar, wie in diesen distributiven Architekturen einzelne Inhalte repräsentiert werden können, Wahrnehmungsobjekte, Worte, präzise Erinnerungen oder erlernte motorische Programme.
Wir bezeichnen dieses faszinierende Rätsel als das Bindungsproblem und wissen, dass wir ohne seine Lösung keine geschlossene Hirntheorie formulieren können.
Besonders spannend ist, dass sich bei der Bearbeitung dieses Problems überraschende Parallelen zu anderen komplexen Systemen ergeben, die ebenfalls distributiv organisiert sind, lenkender Konvergenz-Zentren entbehren und dennoch insgesamt koordiniertes, gerichtetes Verhalten zeigen, weil sie über mächtige Mechanismen der Selbstorganisation verfügen.
Hierzu gehören die Superorganismen der Insektenstaaten ebenso wie unsere verflochtenen Wirtschafts- und Sozialsysteme.
Es wäre lohnend, der epistemologischen Frage nachzugehen, ob es unsere postmoderne Weltsicht ist, die uns komplexe Systeme so sehen lässt, oder ob unsere gegenwärtige Weltsicht durch die Erfahrung mit solchen Systemen geprägt wird.
Lassen Sie mich mit einer Prognose schließen:
Wenn Verstehen meint, dass beobachtbare Phänomene durch Prozesse auf der jeweils nächst niedrigerer Analyseebene erklärbar werden, dann deutet alles darauf hin, dass die Hirnforschung auf dem Weg ist, ihren reduktionistischen Ansatz auf alle relevanten Ebenen lückenlos auszudehnen.
Sie wird die Phänomene neuronaler Kommunikation auf ihre molekularen und zellulären Grundlagen zurückführen und ist dabei, Verhaltensphänomene, einschließlich psychischer und mentaler Funktionen, durch neuronale Kommunikationsprozesse zu erklären.
Diese Prognose hat weit reichende erkenntnistheoretische und ethische Implikationen, gehören doch zu den Explananda nicht nur Sinnesfunktionen und motorische Leistungen, sondern auch die unser Menschenbild prägenden Erfahrungen psychischen Erlebens:
Unsere Motivationen, Denkstrukturen, Wahrnehmungen und Empfindungen.
Wenn sich der eingeschlagene reduktionistische Weg tatsächlich bis zum Ende als gangbar erweisen sollte, dann wird er uns mit völlig neuen Fragen konfrontieren, auf die wir uns schon jetzt vorbereiten sollten.
1. Wie verhält es sich dann mit unserer Erfahrung, dass wir frei entscheiden können?
2. Wie verhält es sich mit Schuldzuschreibungen und unserem Kulturgut der Verantwortlichkeit?
3. Wie sollen wir mit der Erkenntnis umgehen, dass in unserem Gehirn kein Konvergenzzentrum auszumachen ist, wo allein Entscheidungen fallen, wo Handlungspläne entworfen werden, und wo das Bewusstsein seinen Sitz hat?
4. Wie sollen wir uns vorstellen, dass ein willentlicher Entschluss gefasst wird, der dann auf unser Gehirn einwirkt, damit dieses, dem willentlichen Impuls gehorchend, diese oder jene Aktion ausführt?
5. Wo sollen wir das selbst bestimmte Ich verorten, das wir wahrnehmen, als sei es von Hirnfunktionen losgelöst und ihnen gegenübergestellt?
6. Welche Veränderung wird der Erkenntnisbegriff erfahren, wenn wir erkennen können, welche neuronalen Prozesse unseren kognitiven Funktionen, unseren Werkzeugen der Erkenntnis, zugrunde liegen?
7. Und wie werden wir die als zwingend erfahrene Dichotomie von Geist und Körper, von Leib und Seele verteidigen wollen, wenn wir uns gleichzeitig anschicken, das eine auf das andere zurückzuführen?
Wie immer auch die Suche ausgehen wird, gleich, welchen Erscheinungen wir auf dem Weg in unser Innerstes begegnen werden, fest steht, dass die Hirnforschung unser Selbstverständnis tief greifend verändern wird.
Erkennbar ist auch, dass die Hirnforschung dort, wo sie nach den höchsten Funktionen fragt, in angestammte Territorien der Geisteswissenschaften eindringt - mit der faszinierenden Konsequenz einer erneuten Annäherung von Natur- und Kulturwissenschaften.
Und wir werden dieser Annäherung bedürfen, wenn wir die philosophischen, ethischen und moralischen Probleme bewältigen wollen, mit denen wir auf unserem Weg nach innen mehr und mehr konfrontiert sein werden.
Wir werden nicht innehalten können, sondern fortfahren müssen, verstehen zu wollen, wenn wir unsere Verantwortung für die Zukunft ernst nehmen.