Hallo Natureboy,
ja, das ist in der Tat eine schon ziemlich lange Leidensgeschichte. Tut mir echt leid für Dich
Einzig schmunzeln mußte ich allerdings beim verflixten 7. Jahr - denn es war auch bei meiner Frau und mir das siebte Ehejahr, als meine Depression im Sommer 2014 zurückkam und wir das erste Mal ne richtige Krise hatten, bei der sogar schon das Wort "Trennung" in der Luft lag.
Infolge einer Fehlgeburt des gerade bei meiner Frau sehnsüchtigen Wunsches nach einem zweiten Kind hatten wir dann auch im letzten Quartal 2017 ziemliche Schwierigkeiten und erneut eine Krise am Rande des Abgrunds.
Es sieht aber so aus, als würde es sich langsam wieder einrenken.
Ansonsten lese ich aus Deinem Bericht in der Tat eine ganze Menge Belastungen heraus: Führungsebene, schwieriger Chef, Familie, Kind(er), kranke Mutter - kommt mir bis auf den Hausbau (den meine Frau nicht möchte) alles ziemlich bekannt vor: Streß, Dauerbe- und -überlastung, emotionale Anspannung, keine Zeit, all die Geschehnisse einfach sacken zu lassen und zu verdauen... :-/
Ich denke nach wie vor, daß das zu einem großen Teil einfach auch der Fluch der modernen Zeit ist: Es ist alles soviel schneller und schnellebiger geworden, und wie Du es selbst schreibst: Man muß eigentlich immer irgendwie funktionieren. Sobald man das nicht mehr schafft, kommen Unverständnis, Vorwürfe, Schuldzuweisungen. Vom Ehepartner, vom Chef, von Kollegen, evtl. auch von Freunden.
In vergangenen Jahrhunderten war das Leben für die Menschen nicht einfacher, keine Frage. Insbesondere mangelte es da natürlich noch sehr viel mehr existentiellen Grundlagen wie Dach über'm Kopf, Essen, Gesundheit etc. Trotzdem denke ich, nach allem, was ich noch von meinen Großeltern gehört habe, die ja nun auch einen Weltkrieg miterlebt haben, und auch, was diese über ihre Eltern erzählt haben: Die Menschen waren auf eine ganz eigene Art und Weise zufriedener, ruhten trotz all der Widrigkeiten mehr in sich. Meine Großeltern und auch mein Vater erzählen auch noch ganz anders über ihre Vergangenheit, da schwingt eine ganz merkwürdige Art von Freude, Wehmut und auch Identifikation mit. Auch die Verbundenheit innerhalb der Familie war früher noch wesentlich inniger, man konnte sich im Schnitt mehr aufeinander verlassen, war füreinander da, hat sich mehr unterstützt und sich dadurch viel selbstverständlicher gegenseitig aufgefangen. Der Spagat zwischen Beruf und Familie war nicht so groß, scheint mir. Und es gab ein sehr besseres, spirituelles "Sicherheitsnetz", welches vor allem alles Unerklärliche und Unbeeinflussbare aufgefangen hat.
Der Eindruck kann natürlich auch täuschen, keine Frage. Eventuell romantisiere ich da was hinein, was so auch nicht stimmt
Heutzutage dagegen sind wir zu aufgeklärt und über alles benachrichtigt, bekommen gleichzeitig von Kleinauf erzählt, wir könnten alles erreichen, wenn wir uns nur anstrengten. Erst ganz zum Schluß, ganz am Ende einer sehr langen Kette von Erklärungsversuchen, wissenschaftlichen Analysen und Studien heißt dann irgendwann, "das ist halt so". Unerklärliches und Unbeeinflussbares gibt es im normalen Alltag nicht mehr - für alles gibt es einen rationalen Grund, und wie gesagt, wenn man sich nur anstrengt, immer fleißig lernt und arbeitet, wird man es im Leben auch zu was bringen. Gleichzeitig zeigen wir mit dem Finger auf die Aussteiger, Arbeitslosen und Sonderlinge in der Gesellschaft und schüren somit die allgemeine Angst, bloß nicht in solche Gefilde abzurutschen - "mir passiert sowas nicht".
Damit kreiert sich unsere Gesellschaft einen permanenten Teufelskreis - eigentlich eher eine Teufelsspirale - aus anhaltendem Druck und Streß, bloß niemals zu versagen - "wir sollen es ja schließlich besser haben als unsere Eltern"... In der Konsequenz ergehen wir uns dann gegenseitig schnell in Vorwürfen, Zurechtweisungen und Gegenvorwürfen, keiner steckt zurück, womit der Druck auf dem Kessel gehalten wird.
Jetzt packen wir noch die größeren, zumeist beruflich bedingten Entfernungen und Entwurzelungen der Familien hinzu (weniger Unterstützung) dazu, die moderne Ernährung aus industrieller Herstellung (Vitaminmangel, Nährstoffarmut, Pflanzen- und Insektengifte etc), Bewegungsmangel und die digitale Allzeit-Bereitschaft, in der jeder endlich rund um die Uhr von jedem Menschen auf der Welt erreichbar ist - und der Angst- und Depri-Cocktail ist perfekt. Da braucht es dann mitunter keine großen kindlichen Traumata mehr, wobei die es im Zweifel nicht besser machen.
Was mich schließlich zu Deiner Feststellung bringt:
Und trotzdem fand ich für mich bis heute noch nicht restlos "meinen Weg den ich gehen muss".
Ich denke, der Weg ist heutzutage wirklich schwer zu finden:
Spiegel Online: Was wir tun müssen...
Einfach, weil das Problem so komplex geworden ist und man wirklich den sprichwörtlichen Spagat zwischen allem möglichen machen muß, um bloß nirgends anzuecken. Glücklich diejenigen, die es schaffen, daß ihnen das meiste am A**** vorbeigeht... Für alle anderen, die nur halbwegs sensibel, mitfühlend und harmonisch eingestellt sind, mindestens mühsam.
Klar kann man den Job wechseln. Aber nicht alles, was Gold ist, glänzt, und schei** Chefs und Kollegen gibt's auch in anderen Unternehmen.
Klar gibt's die Aussteiger aus dem Job, die es irgendwie schaffen, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Von denen sind aber viele Single ohne weitere Verantwortung, denn entweder sind sie hartgesottenene Einzelgänger, die Beziehung ging schon früher zu Bruch oder ist spätestens im Zuge dieses "unvernünftigen und realitätsfernen Selbstverwirklichlichungstrips" über die Wupper gegangen...
Klar kann man sich von seinem Partner trennen, weil die Differenzen (scheinbar) unüberbrückbar sind. Aber sind sie das wirklich? Will man stattdessen lieber allein sein? Und was ist mit den Kindern - womit schützt man sie, womit fügt man ihnen mehr Schaden zu?
Ich denke ferner, wir sind mit 40 auch an einem Punkt im Leben, an dem man nicht mehr viel ohne größeres Risiko ausprobieren kann. Es gibt für die großen Dinge in unserem Leben einfach kein Trial&Error mehr, viele Entscheidungen haben einen Point-of-no-return und damit Konsequenzen. Mal eben versuchen, was einem im Großen helfen könnte, geht nicht ("sorry Chef, das mit der Kündigung war nur mal zum Gucken, ob's mir woanders besser gefällt. Is aber nicht. Nehmt ihr mich zurück?"). Und letztlich birgt keine der Entscheidungen eine Garantie auf den Stein der Weisen und die große Erleuchtung.
Im Zuge all dessen können wir - kurz gesagt - einfach nicht mehr so einfach die Menschen sein, die wir im Kern eigentlich sind bzw. sein wollen, sein sollten: Nur soviel arbeiten, um genug zu essen zu haben, ein Dach über'm Kopf und ansonsten "leben und leben lassen", mit Spaß, mit Ruhe, mit Frieden.
Ich habe mal in einem Hörbuch die Geschichte von einem Bootsbesitzer gehört, der mit seinem kleinen Bötchen Ausflugstouren für Touristen angeboten hat. Als der Einmal kam der Autor des (Hör)Buchs eines Tages zu ihm kam und wissen wollte, wieviel eine Tour kosten würde, war die Antwort des Bootsbesitzers nur, er hätte schon gegessen. Auch auf weitere Anfragen und Angebote des Autors ging der Mann nicht ein, sondern soll in Seelenruhe am Pier gesessen und den Tag genossen haben. Bis dem Autor schließlich die Erkenntnis kam, daß der Bootsbesitzer für diesen Tag einfach genug gerarbeitet hatte, um für die nächsten Stunden einfach nichts tun zu müssen. Er hätte natürlich rausfahren können, und jeder deutsche Tarifangestellte einer Schiffahrtsgesellschaft mit festen Arbeitszeiten hätte das auch tun müssen - aber dieser Mann war nur für sich selbst verantwortlich, mußte sich niemandem gegenüber rechtfertigen, hatte grundsätzlich genug Kundschaft, um sich nicht sorgen zu müssen, und ist einfach nach Bedarf mit Touris rausgefahren, wie es im gefiel.
Ob diese Geschichte so stimmt, weiß ich natürlich nicht

Aber die Botschaft, die darin steckt, finde ich schon recht vielsagend gerade für unsere moderne, hektische Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, in der keiner von uns jemals genug haben kann...
Einfach mal ein paar Gedanken, die mir während des Lesens Deines Berichts und danach dazu eingefallen sind. Ne schöne Lösung habe ich natürlich auch keine

Aber ich glaube schon, wenn wir uns dem Ideal in kleinen Schritten hier und da annähern, ist das für uns hier heute womöglich besser als den großen Kahlschlag zu (ver)suchen. Irgendwann werden der Schmerz und das Leid hoffentlich weniger
LG,
Alex