Re: Wie geht Ihr mit der Angst um?? Vater hat Rektum-Ca. Bitte lesen!
Liebe Nicole,
ich habe Deinen Betrag gerade gelesen und kann Dir nur sagen, daß ich genau weißt wie Du Dich fühlst. Mein Papa starb am 6.9.2001 an Krebs und hatte ein Märtyritum von über 2 Jahren auf sich genommen. Es war ganz schlimm. So hart wie das ist, aber Du darfst die Augen jetzt vor der Realität nicht verschließen. Das ist eine ganz harte Schule. Als ich die Diagnose von meiner Mama mitgeteilt bekam, haben wir nur noch geweint - es war die Hölle. Und wenn wir jetzt mit rosaroter Brille durch die Gegend gelaufen wären, wäre die Katastrophe noch schlimmer geworden. Darmkrebs; Karzinom; Chemo; Bestrahlung - die ganze Qual hat er mit großer Kraft versucht zu ertragen. Künstlicher Darmausgang und das Unheil nahm seinen Lauf. Ich habe in den zwei Jahren, in denen er jeden Tag ein bißchen mehr gestorben ist, die Welt gesehen, wie sie wirklich ist. Ich habe Dinge gesehen, gerochen und wahrgenommen, die ich nie für möglich gehalten hätte. Er hat wie ein Löwe gekämpft und meine Mutter ist bis an die Grenze ihrer Kräfte gegangen, um ihm sein "Leben" (wenn ich genauer drüber nachdenke war es das wohl nicht) so erträglich wie möglich zu machen. Krankenhaus ? Krebsstation ? Die absolute Hölle! Das Pflegepersonal total überfordert, Hygiene.. nahezu gleich null usw. Ich habe dieses Krankenhaus bis heute als "Rattenloch" in meinem Kopf. Meine Eltern wären heute auf den Tag 40 Jahre verheiratet - mein Vater ist seit 6 Jahren tot. Er starb mit 61 Jahren!!! Er hatte noch soviel vor und wollte nicht von dieser Welt gehen, aber der Tod fragt nicht nach Zeit. Meine Mama und ich haben unser menschenbestes für ihn getan, aber eines Tages haben die Organe versagt und er ist eingeschlafen. Wir wollten unseren Papa auch niemals verlieren, zumal man mit 61 Jahren noch viele glückliche Jahre des Lebens vor sich hat. Als mein Vater starb war ich glücklich, daß ich meine geliebte Mama, die ich mehr als andere auf der Welt liebe, an meiner Seite hatte. Es verging ein Jahr und sie begann plötzlich über Schmerzen im Bein zu klagen. Sie dachte, sie hätte sich einen Nerv im Bein eingeklemmt. Ja, das dachte sie.. sie hatte Knochenkrebs im Endstadium. Und sie sollte nach dieser Diagnose nur noch drei Monate leben. Ich hab den Boden unter den Füßen verloren, als ich die Diagnose mitgeteilt bekam. Die Knochen haben sich bereits angefangen zu zersetzen, ich hab ihre Metastasen fühlen können an Kopf und Schulter. Meine geliebte Mama! Sie kam in das gleiche Rattenloch, auf die gleiche Station wie mein Papa und.. sie starben beide im gleichen Zimmer. Liebe Nicole, als ich meine Mutter die letzten drei Monate ihres "Lebens" (nein, auch dies war keins) begleitet habe, ist in mir alles zerbrochen. Mein Herz war gebrochen, ich war nur noch ein Häufchen Elend. Aber ich mußte stark sein - stark für den liebsten Menschen in meiner kleinen Welt. Ich glaube, mir sind "Flügel gewachsen" daß ich alle tödlichen Diagnosen, Gerüche, was ich sah, ertragen konnte und auch mußte. Es war die Hölle. Zuerst sehe ich meinen Vater über zwei Jahre sterben und dann weiß ich, daß mein geliebte Mama innerhalb von 3 Monaten sterben wird. Die Ärzte sind brutal und schonungslos mit ihren Diagnosen. Oh ja.. sie lassen ja nicht alles an sich heran, da sie ihren Job ja sonst nicht ausführen konnten. Ich sag Dir, das war so schlimm, diese extreme Veränderung mitzuerleben - und NICHTS dagegen tun zu können. Sie starb am 9.12.2003 und seit dieser Zeit gibt es für mich kein Weihnachtsfest im familiären Sinne mehr. Ich bin zwar verheiratet, aber mein Mann und ich sind unsere eigene kleine Familie.. zu zweit. Es hat sich alles verändert und niemals wird wieder irgendwas so sein, wie es war.
Liebe Nicole, ich wünsche Dir von ganzem Herzen ganz viel Kraft. Auch wenn Du glaubst, daß Du alles nicht schafft.. glaub mir: Du schaffst es. Der Weg wird Dich vielleicht ans Ende deiner Kräfte führen und Du bist ein Scherbenhaufen, so wie ich es auch war. Aber eines darfst Du nicht vergessen: Dein Papa wird FÜR IMMER in Dir weiterleben - er ist ein Teil von Dir. Seine Liebe wird Dich Dein ganzes Leben im Herzen weiter begleiten. Trage ihn in Deinem Herzen, so wird er immer bei Dir sein. Laß Deinen Gefühlen freien Lauf - egal wann und wo. Auf deutsch gesagt: scheiß drauf, was die Leute sagen. Ich weine heute oft von einem Augenblick zum nächsten, wenn ich glückliche Mamas mit ihren Töchter vertraut im Cafe sitzen sehe, die einen schönen Kaffee trinken. Das haben meine Mama und ich auch immer getan (siehst du.. und schon kommen die Tränen wieder). Das allerwichtigste ist, daß Du NIE anfängst, Dir was schönzureden. Auch wenn ich Dich nicht kenne, und nicht weiß, wie es um Deinen Papa jetzt bestimmt ist, so hoffe ich, daß er keine Schmerzen hat und er im Krankenhaus bestmöglich versorgt wird. Wie gesagt, ich weiß nicht, wie es ihm geht, aber:
Sei bei ihm und begleite ihn. Verbringe so viel Zeit wie eben möglich mit ihm - es wird ihn glücklich machen...auch wenn Du vielleicht lernen mußt, über Deinen eigenen Schatten zu springen.
Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute.
Sabine