RE: seitensprung
jetzt wirds wohl doch ein längerer beitrag
1) die offene zweierbeziehung ist in der tat ein kind der sexuellen revolution a la 68. hat sich aber so wie die anderen dogmen von damals überlebt. ich kenne niemand, der sein beziehungsleben so gestaltet. das thema seitensprung unter diesem aspekt abzuhandeln, ist schlicht obsolet
2) man kann den seitensprung unter dem gesichtspunkt der moral abhandeln. damit erübrigt sich allerdings jede diskussion
3) man kann den seitensprung unter dem gesichtspunkt der (wahren) liebe abhandeln. das legt natürlich ein konzept zugrunde, das praktisch
schwer zu fassen ist. was ist wahre liebe? wer von uns hat sie wirklich schon erlebt? ich freue mich für jeden, der das erste weiß und das zweite bejaht. für so manchen wird das nicht zutreffen und der absolute treueanspruch des wahrhaft liebenden nicht wirklich nachvollziehbar sein
4) was eine beziehung wirklich ausmacht, ist doch ein wesentlich größeres und vielfältigeres feld an gemeinsamkeiten und übereinstimmender lebensplanung, als daß man es auf die rein sexuelle treue reduzieren könnte
als meine damalige partnerin mir nach einem mit einem studienkollegen gemeinsam verbrachten urlaub einen "unfall" (so wurde es, glaube ich, hier mal bezeichnet) beichtete, war das für mich kein problem. ich wußte, es würde unsere beziehung nicht beeinflussen
5) es ist sehr leicht, eine hypothetische situation zu beurteilen, mit der man real noch nicht konfrontiert worden ist. anders gesagt: wie weit die guten vorsätze tragen, erweist sich erst im ernstfall
trotz 4) war ich meinen partnerinnen immer treu. ganz pragmatisch deshalb, weil ich auf die komplikationen einer heimlichen zweitbeziehung null bock hatte. aber auch, weil ich wußte, daß es meine jeweilige lebenabschnittsgefährtin verletzen würde, betrogen zu werden
ich (zur zeit solo) besuche alte freunde über silvester. ich kenne die beiden von der uni, als sie noch kein paar waren. nach mitternacht (und einigen leeren flaschen) finde ich mich im zwiegespräch über die alten zeiten mit der gastgeberin. über einen vielversprechenden abend vor zwanzig jahren, aus dem wir damals beide nichts weiterführendes gemacht haben, weil irgendwie jeder darauf gewartet hat, daß der andere den ersten schritt macht. junge leute können so blöd sein
das gespräch endet in einer mittelheftigen knutscherei
und ich reise vorzeitig ab, um das ganze nicht noch weiter eskalieren zu lassen. ich habe keine absicht, meinem freund die frau wegzunehmen
es folgen e-mails. so was ist ja ungefährlich. sind ja nur worte. und überhaupt, ist das nicht eine sache zwischen ihr und ihm? hat er denn größeres anrecht auf meine loyalität als sie auf - naja, was immer noch daraus werden soll?
sie besucht mich (er weiß natürlich davon). alte freunde, nicht mehr. aber es geht die hölle ab. die emotionen schwappen über
wir können uns nur selten sehen. dazu sind zu viele kilometer zwischen uns, und außerdem darf es nicht zu offensichtlich werden. ein paar mal im jahr zwei, drei tage oder auch mal ein kurzurlaub zusammen
ich habe mittlerweile auch wieder eine ständige beziehung. hier hat nicht der blitz eingeschlagen, aber - sie ist die frau, mit der ich in meiner freizeit zusammen sein möchte. nicht nur, weil sie mir gibt, was ich brauche - auch weil sie mich spüren läßt, was ich ihr gebe
ich habe lange darüber gegrübelt, ob ich darüber meiner heimlichen geliebten den laufpaß gebe. ich habe es nicht getan. oder nicht geschafft. oder nicht gewollt, weil es meiner (doch früher nicht so wichtigen) machoehre schmeichelt?
das soll jeder selber beurteilen. ich meine nur, daß jedes urteil umso leichter gefällt wird, je weniger man beteiligt ist