Re: Ist Auxura sinnvoll oder nicht?
Hallo Flieder,
das Wort „Psychose“ darf man im Zusammenhang mit Demenz m.E. sehr wohl verwenden, denn es kann bei einer Demenz eine latente Psychose manifest werden bzw. eine einst erfolgreich therapierte Psychose wieder aktiv werden – was aber sehr selten ist.
„Psychose“ ist ein Oberbegriff, unter dem sich u.a. der Formenkreis der Schizophrenien (auch wieder ein Oberbegriff) verbirgt. Alle Krankheiten sind international (WHO) klassifiziert (z.B. ICD-10 F.00 bis F.99 für psychische Krankheiten und Verhaltensstörungen, usw.) womit u.a. eine für jeden Arzt weltweite schnelle Kommunikation möglich ist, aber auch Abrechnungen mit den Kassen eindeutig werden (sollten). Demenzen sind z.B. unter F.00.x (Alzheimer) bis F.03 klassifiziert. Zusätzlich gibt es noch das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (Diagnostisches und statistisches Handbuch psychischer Störungen), kurz „DSM“ genannt. Für Demenz gilt z.B. DSM-IV. Wir sehen also, dass Demenzen als psychische Störungen betrachtet werden, was sie ja auch sind. So ganz weit hergeholt ist die Verbindung zur Psychose daher nicht, und wenn sich der Verdacht erhärtet, dass Psychosen organische Ursachen haben, z.B. durch Störungen der neuromodulatorischen Systeme (meist dopaminerg), so kann man kaum noch im klassischen Sinne von Geisteskrankheiten sprechen. Hier liefert v.a. die Neurobiologie immer mehr Erkenntnisse, und die Tatsache, dass man mit „Herunterregeln“ des Dopamin (das machen Neuroleptika wie z.B. Risperidon) psychotische Störungen mildern oder sogar ganz beseitigen kann, deutet ja in Richtung metabolischer Störungen.
Dennoch ist eine Demenz keine Psychose. Die Verwirrung, die uns dazu verleitet von „verrückt“ bzw. – etwas vornehmer – psychotisch, zu reden, sind bestimmte Verhaltungsauffälligkeiten, die im Verlauf demenzieller Erkrankungen auftreten können und dem ähneln, was wir allgemein unter „psychotisch“ verstehen. Tatsächlich können Demenzen z.B. Symptome von paranoider halluzinatorischer Schizophrenie zeigen, wenn z.B. der Patient Leute nicht existente Leute und Situationen sieht oder glaubt, bestohlen worden zu sein, usw. Das sind schon echte Wahngedanken, die man immer daran erkennt, dass sie mit Logik und Belegen nicht aus der (seiner) Welt zu schaffen sind. Da aber diese Erscheinungen meist keine Tiefe bzw. Komplexität zeigen und nicht andauern, sowie kaum von Zwängen oder Phänomenen wie das Hören befehlender Stimmen, usw. begleitet werden, kann man nicht von echten Psychosen reden. Wir haben i.d.R. keine van-Goghs, die sich Ohrläppchen abschneiden, keine John Nashs, welche die Welt vor einem Atomkrieg bewahren wollen angesichts überall lauernder Feinde (jedenfalls dem Film „A beautiful Mind“ nach, ein Beispiel für die vermeintliche Parallelität von „Genie und Wahnsinn“) oder Hölderlins, die sich in einem Turm verschanzen, usw. Oft können wir unsere dementen Angehörigen beruhigen, indem wir ihnen auf geschickte Weise recht geben und dann ablenken. Das dürfte bei echten Psychotiker eher problematisch sein. Natürlich gibt es Akutzustände, die auch bei Demenzen schwer zu meistern sind. Dann sind wir u.U. tatsächlich auf dieselben Medikamente angewiesen, wie der Psychotiker auch – wenn auch angepasst und in meist geringerer Dosis und ohnehin nur als letzte Wahl. Demenzkranke könne auch Symptome anderer psychischer Erkrankungen aufweisen ohne diese jedoch wirklich zu haben. So können z.B. Symptome auftreten, die an bipolaren Depressionen erinnern, diese aber nicht sind, wie Ischwalm mal schrieb, da das echte entspr. Krankheitsbild eine viel tiefere und längerdauernde Periodik aufweist. Möglich sind ferner auch Symptome wie Capgras-Syndrom, reduplikative Paramnesie, affektive Störungen, usw. Eine Demenz kann sozusagen quer durch ein Lehrbuch der Psychiatrie laufen ohne jedoch tatsächlich auf eine bestimmte Erkrankung fixiert zu bleiben bzw. diese voll auszuprägen. Natürlich gibt es wohl kaum einen Demenzkranken bei dem allein alle möglichen Symptome auftreten – es gibt verschiedene Verläufe.
Ich spreche lieber von „quasipsychotischen Zuständen“ als von Psychosen. Aber als Laie kommt es auch nicht so sehr darauf an, sich in der Terminologie von Psychiatern oder Neurologen auszukennen. Viel wichtiger ist eine gute Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, das Beobachtete möglichst genau dem behandelnden Arzt mitzuteilen. Dieser – so er gut ist – weiß dann schon, was zu tun ist.
Was die Aphasie anbetrifft, so könnten wir hier eine ganze Liste von mit „A“ beginnenden Worten bringen, die immer nur eines meinen: Den Ausfall oder die Beeinträchtigung bestimmter kognitiver oder praktischer Fähigkeiten. Bei Aphasie sind es die Wortfindungsstörungen bis zum „Ausfall“ der ganzen Sprache. Bei Agnosie ist es das Nichtmehrerkennen, bei Apraxie das fortschreitende Unvermögen v.a. in der Feinmotorik, z.B. beim An. und Ausziehen, Waschen, Essen, usw. „A“ ist hier also als Verneinung zu verstehen. Das sind überwiegend keine psychiatrischen Begriff sondern eher neurologische.
LG
Egon-Martin