Moin
Naturefreak40 ,
ich geh mal in meinen Thread rüber, um Deinen da nicht kapern - obwohl mein Thema da heute eng mit Deinem zusammenhängt:
Aber wie ich schon in Deinem Thread erwähnt hab, geht's mir auch seit geraumer Zeit arg gemischt, spätestens seit meiner Corona-Infektion vor drei Wochen ist das Niveau auf jeden Fall niedriger.
Ganz konkret hat's mich gestern Abend wieder umgehauen:
Ich hatte ja, glaube ich, vor Monaten mal geschrieben, daß der eine meiner zwei Kumpel hier am Ort unsere Freundschaft wegen arger Meinungsverschiedenheiten bzgl. Corona und der Impfung seinerseits auf Eis legen wollte, damit da nix in die Brüche geht. Hat mir durchaus gewaltig zu knabbern gegeben, daß er da so ein Mega Problem drin gesehen hat, daß er das Thema "Corona" nicht einfach ausklammern konnte - aber okay...
In dem letzten Dreivierteljahr hab ich dann lediglich zum Geburtstag gratuliert und Frohe Weihnachten gewünscht, ansonsten hab ich die Funkstille gewahrt. Obwohl ich mich bei mehr als einer Gelegenheit bei meiner Frau drüber ausgekotzt hab, weil mir das eben schon zu schaffen gemacht hat - ich hab eben auch nur zwei Kumpels / Freunde am Ort, mit denen ich mich auch mehr oder minder spontan mal treffen kann - meine zwei besten Freunde wohnen 100km bzw. 800km entfernt...
Vor ner Woche dann hab ich mit Fortschritt meiner Corona-Genesung mal nen Vorstoß in Richtung des Kumpels gemacht und via Signal Kontakt aufgenommen, und er hat geantwortet, und wir haben zehn Minuten lang getextet.
Gestern Nachmittag auf dem Heimweg vom Büro hab ich dann den nächsten Vorstoß gemacht und gefragt, ob er Zeit und Lust auf ein Bierchen hätte.
Zwei Stunden lang kam keine Antwort, aber dann meinte er, sie hätten immer noch mit der Nachlaßverwaltung seines Schwiegervaters viel zu tun und er würde das gern auf nach Osten verschieben. Ich war noch am Antworten "kein Ding", da klingelte schon das Handy, und dann haben wir anderthalb Stunden lang gequatscht.
Soweit, so gut. Und ich war durchaus stolz auf mich, so mutig gewesen zu sein.
Nach dem Telefonat bin ich dann zu meiner Frau runter und hab ihr das erzählt. Zunächst war sie noch ganz überrascht und erfreut darüber, aber je mehr sich dann für sie herausstellte, daß er sich für sein Verhalten nicht entschuldigt hatte, ich gleichzeitig aber einfach nur froh darüber war, daß der Kontakt ohne irgendwelche nachträglichen Seitenhiebe oder Komplikationen wieder zustandegekommen war, umso kritischer wurde meine Frau dann: Daß er sich nicht entschuldigt hätte, fände sie nicht in Ordnung; sie würde sich ja für mich freuen, aber ich sei ihm wie Hündchen hinterhergelaufen und jetzt froh, daß er mich mal wieder "gestreichelt" hätte; und so souverän, wie ich es ihr gegenüber darstellen würde, wäre ich ja gar nicht gewesen - ich hätte zwar ihm gegenüber ein Dreivierteljahr Stillschweigen und Ruhe gewahrt, mich aber eben bei ihr ein paar Mal drüber ausgekotzt.
Das hat mich mächtig auf den Teppich zurückgeholt... meine Erleichterung darüber, daß es geklappt hatte und ich mich eben durchaus für mutig gehalten habe, verflog, und ich sah mich innerhalb von Minuten als genau das Hündchen, als das meine Frau mich da dargestellt hatte; als Versager, der keine Freunde hat; der aber Freunde braucht; und sobald ich dann mal über meinen Schatten springe und Kompromisse einzugehen bereit bin, krieg ich nachher trotzdem gefühlt gespiegelt, nicht zu genügen und es falsch gemacht zu haben...
Es war so zum Kotzen...
Ich bin dann nach zehn Minuten "Friends" hoch, hab mich mit meinem Bettzeug auf dem Boden zusammengerollt und angefangen zu heulen. Ich wollte einfach nicht mehr - ein Versager ohne Freunde und jemand, der es dann auch nötig hat, den Leuten hinterherzurennen und "bitte bitte sei mein Freund" zu betteln...
Das hat meine Frau dann nach fünf Minuten mitbekommen und kam dann hoch. Setzte sich zu mir und entschuldigte sich sofort, sagte, sie hätte das so nicht gemeint, es täte ihr leid. Und was ich erzählt hätte und daß seitens meines Kumpels da keinerlei Entschuldigung für die seinerseits eingeforderte Funkstille gekommen sei, hätte bei ihr Dinge getriggert, im Zusammenhang mit ihrer Kindheit und ihrer Mutter, die sich ihrerseits niemals für irgendein Fehlverhalten entschuldigt hatte und den Fehler immer auf die Kinder zurückgeschoben bzw. sie damit alleingelassen hatte / hätte.
Ich hab noch ein paar Minuten gebraucht, mich wieder halbwegs zu fangen - aber anfänglich hab ich ihr unumwunden auch gesagt, daß ich mir wegen unseres Sohnes zwar nichts antun wollte, daß er seinen Papa bräuchte - aber daß ich einfach nicht mehr wollte. Das hat sie ziemlich schockiert, verständlicherweise irgendwo, ebenso, wie sie betroffen darüber war, daß ich nur unseren Sohn als Grund zum Weiterleben angeführt habe, sie aber nicht...
Aber das ist einfach so einer der Momente gewesen, wo meine derzeitige Sinnkrise mich wieder voll erwischt hat: Da rappel ich mich schon auf, gewinne etwas Erleichterung zurück - und dann triggert das meine Frau, die wiederum bei mir dann unabsichtlich in die "richtige" Kerbe schlägt, was bei mir Kindheits"trauma" triggert, und schon häng ich wieder am Rande des Lochs.
Noch heute Morgen beim Aufwachen dachte ich mir, daß ich dem lieben Gott einfach nur dankbar wäre, wenn es jetzt vorbei wäre... einfach einschlafen oder ein schneller Unfall, an dem niemand Schuld trägt, und ich hab endlich meine Ruhe.
Warum ich das alles so ausführlich und in dem Kontext bzw. mit Verweis auf Dich schreibe, @Naturefreak40:
Die Aktion gestern Abend hat mir insgesamt mal wieder deutlich gemacht, daß wir
ALLE unser Päckchen zu tragen haben:
- Ich,
- meine Frau,
- mein Kumpel,
usw.
=> Die eingeforderte Funkstille meines Kumpels ob dieser scheiß Corona-Diskussionen hat
mich getriggert und schwer getroffen. Weil schon in meiner Kindheit Außenseiter war, viel gehänselt wurde und bei wenigstens zwei Gelegenheiten (1x Mitte 8. Klasse und 1x irgendwann 9./10. Klasse), an die ich mich noch zu gut erinnern kann, von zwei "Freunden" von einem Tag auf den anderen mit dem Arsch nicht mehr angeguckt worden bin... und ich weiß bis heute nicht, warum. Ab der 10./11. Klasse wurde es langsam etwas besser - aber umso mehr haben mir dann die stabilen Freundschaft geholfen und bedeutet, die ich im Studium gewonnen habe. Nur, um dann miterleben zu müssen, wie sich die Leute mit Berufseinstieg in alle Himmelsrichtungen zerstreuen und durch Job und Familie die Zeit mit Freunden immer knapper wird - sofern man sie überhaupt noch treffen kann, weil sie zu weit weg wohnen... Dann hab ich zwei Kumpel am Ort; der eine von beiden aus Studiumszeiten und extra wegen unserer Freundschaft hierhergezogen - und dann stellen sich mit den Jahren und dem Älterwerden plötzlich Probleme und Spannungen ein (in beiden Fällen)... und on top...
=> ... meine in der Hinsicht unversöhnlichere und nachtragendere Frau, die eben ihre eigenen Trigger hat, vieles davon selbst nicht richtig verwunden hat bis heute;
=> ... und mein Kumpel hat 100% ebenfalls sein Päckchen zu tragen, wovon er nicht alles ans Schwarze Brett pinnt oder sich drüber ausheult, so daß man wüßte, woran man ist und wie man dieses und jenes bewerten muß.
Meine Frau meinte gestern Abend entschuldigend, einlenkend und richtigerweise dann irgendwann, daß eben auch unsere Freunde nur Menschen seien, die nicht perfekt sind - eben weil niemand perfekt sei. Und daß sie sich der Tatsache bewußt ist, daß in dem Punkt wahrscheinlich eben sie selbst die Unversöhnliche und Nachtragende sei wegen
ihrer "Traumata" und sie diese nicht zu meinem Problem machen dürfte und wollte. Daß Freundschaften-eingehen und -bewahren gerade mit dem Älterwerden eben auch Kompromisse-eingehen bedeutet, eben weil niemand von uns perfekt sei. Usw.
Kurzum:
Ich bin immer noch dabei, das irgendwie zu verarbeiten und zu verpacken. Freundschaften-schließen ist mir nie leichtgefallen, Zurückgewiesen-werden trifft mich entsprechend schwer(er) - mit einem größeren Fundus an Kumpels drumherum oder der erforderlichen Portion Extrovertierheit wäre es mir vielleicht eher egal. Ist aber nicht so.
Ergo fühlt sich das für mich gerade mal wieder auch nach sehr viel mehr "Kampf" und Anstrengung an - Wasser auf die Mühlen meiner Sinnkrise - und entsprechend hab ich immer noch und immer wieder Momente, in denen ich mir eben wünsche, ich hätte "den ganzen Mist" einfach hinter mir.
Gleichzeitig mache ich mir klar, daß es eben praktisch alles Menschen so oder ähnlich geht. Irgendeinen wunden Punkt haben wir alle. Und jeder von uns versucht, seine Bewältigungsstrategien dafür zu finden: Der eine kompensiert es durch ein Übermaß an (Extrem)Sport, der nächste greift zum Alkohol, wieder andere machen Binge-Watching auf Netflix... => alles Realitätsflucht, weil wir alle mit bestimmten Punkten und Aspekten unseres Daseins nicht zurechtkommen. Ich flüchte mich meistens ins Bett, mache die Augen zu und versuche zu schlafen, weil das dann meine Zeit echter, wahrhafter Ruhe ist, in der weder jemand etwas von mir wollen kann noch ich mich mit irgendeinem meiner Probleme auseinandersetzen muß.