RE: Hyperaktivität
Hallo
Die bisherigen Beiträge kann ich alle nachvollziehen – nur niemand von uns kann diagnostizieren, ob Dein Kind tatsächlich in die „HA-Schublade gesteckt werden kann. Auch wage ich zu behaupten, dass die Diagnostik der wie Pilze aus dem Erdreich wachsenden „Spezialisten für Hyperaktivität, ADS etc.“ zu 100% realistisch sind. Es hört sich gemein an, aber hieraus ist ein neuer Wirtschaftszweig entstanden, und nur ein Teil dieser Spezialisten beschäftigt sich tatsächlich ernsthaft mit dieser Problematik (siehe auch „Hyperaktivität = evt. Hochbegabung/Unterforderung = Machen Sie bei uns den ultimativen Intelligenztest!) Nach wie vor hilft m.E. nur DER Arzt/Therapeut des Vertrauens und der Austausch zwischen betroffenen Eltern (der nicht immer leicht zu finden ist...)
Ich möchte trotzdem einige Auszüge kopieren, die ich bereits in anderen Foren veröffentlich habe, nicht weil sie eine Hilfe für DEIN Kind anbieten, aber für lesenswert halte, um sich eine grundlegende Betrachtungsweise zu verschaffen (ob sie nun ankommt oder nicht) denn in erster Linie zählt UNSERE Einstellung und UNSER Gefühl unseren Kindern gegenüber.
1) „...Joan Miró ... stört vielleicht unsere gewohnte Betrachtungsweise: „So sieht doch kein Mensch aus!“ Doch in der Kunst haben wir uns inzwischen schon daran gewöhnt, dass man die Dinge auch anders anschauen kann – oder sogar muss, wenn Raum für Neues entstehen soll. Auch Wissenschaft und Politik, das erwarten wir, müssen neuartige Wege beschreiten, um den gewaltigen Herausforderungen, die das neue Zeitalter an uns stellt, ensprechen zu können. Nur bei der nachwachsenden Generation, den Kindern von heute und morgen, soll alles beim alten bleiben. Zu schnell wird jede Auffälligkeit als Störung empfunden, was nicht der Norm entspricht, wird retuschiert, therapiert – später vielleicht sogar „cloniert..?“
So ... lebt auch die Pädagogik in und von dem Spannungsverhältnis zwischen Althergebrachtem und Neuartigem, von Norm und Auffälligkeit ... müssen die Erwachsenen, besonders die Pädagogen lernen, das ... Kind in seinen verschiedenen Ausdruckformen richtig anzuschauen, es zu verstehen.
Damit ist nicht die Maß- oder Regellosigkeit zum Prinzip erhoben. Ebenso wenig wie die unbesonnene Normierung. Vielmehr liegt das Problem häufig nicht bei den verhaltensauffälligen Kindern, sondern bei den Erwachsenen, die nicht gelernt haben zu verstehen, was sich in den Kindern ausdrücken will. Die Pädagogen brauchen Hilfe, eine Sehhilfe...“
(Peter Lang, Waldorfkindergarten-Seminar Stuttgart)
2) „Ihre Zahl wächst ständig, wie man hört: sie treiben ihr Unwesen in hunderttausenden Familien, Kindergärten, Schulen und sind auf dem besten Weg, die Pädagogenzunft in die größte Ratlosigkeit
<...und Gehaltsverbesserung (eigener Kommentar)>
ihrer Geschichte zu stürzen: die sogenannten verhaltensgestörten Kinder....Doch der Begriff Verhaltenstörung (heute in den meisten Fällen vornehmlich ADS genannt) ... ist weit auslegbar: Fallbeispiel: Lehrer A: „Ja, unser kleiner Fritz, der hat immer Unsinn im Kopf ... ein Lausebengel, aber ein ganz liebenswerter Mensch. Mag es auch manchmal schwer sein, mit ihm umzuzgehen – ich finde ihn irgendwie genial!“ Lehrer B: „Liebenswerter Lausebengel? Genial? Also ich muß doch sehr bitten! Der Fritz ist hochgradig verhaltensgestört!“
Solch eine Verdachtsdiagnose ist also schnell bei der Hand und aus dem kleinen Frechdachs ist im Nu ein Patient geworden!
Nur wer bereit ist, in viel höherem Maße, als es früher gefordert war, unterschiedlichste – auch sonderbare – Persönlichkeitsvarianten als „Farben des Lebens“ zu akzeptieren, ja zu lieben, kann heute ein guter Pädagoge sein. Denn immer mehr Kinder sind heutzutage immer weniger geneigt, sich an die gute alte Entwicklungsnorm zu halten.
Lern- und Anpassungsstörungen, so hört man, greifen seuchenartig um sich. Mal wird den Kindern, mal den Eltern und dann wieder der Schule dafür der Schwarze Peter zugeschoben. Doch die Frage muß erlaubt sein, ob ein Kind heute nicht bereits das Etikett „verhaltensgestört (<oder ADS>) bekommt, wenn es nur unverhohlen, unverborgen und kindlich ist...“
(Henning Köhler, Heilpädagoge, Erziehungsberater, Autor)
<Achtung – das soll natürlich nicht insofern mißverstanden werden, als alle als „ADS-diagnostizierten Kinder“ einfach nur temperamentvolle, sensible oder mit besonderen Fähigkeiten ausgestattete und daher auffällige Kinder sind. Die professionelle Erkennung einer ADS-„Erkrankung“ ist durchaus ein Segen für viele verzweifelte Eltern; selbst die Erfindung und Gabe des Ritalin möchte ich nicht unterbewerten (um den für sich „richtigen“ Therapeuten/Arzt zu finden, bedarf es momentan leider oft einer Odysse). Und leider geht der Trend dennoch dahin, daß Kinder, die sich nicht so recht in die Norm unserer heutigen Leistungsgesellschaft und –forderung einfügen lassen, immer öfter medikamentös „auf den richtigen Weg gebracht“ werden.
Viele Grüße Pépé