Re: Demenz und Krankenhaus
Hallo!
ich bewege mich nur noch sporadisch in diesem Forum, weil ich selten medizinische Fragen habe, aber ich lese gelegentlich noch mit. Wenn ich aber solche Berichte wie Ihren sehe, dann juckt es mich in den Fingern, etwas dazu zu schreiben - ganz einfach deshalb, weil ich durch den längeren Klinikaufenthalt meiner demenzkranken Mutter vor fast drei Jahren einiges dazu sagen kann. Heute lebt meine Mutter noch alleine zuhause, wird aber durch mich intensiv betreut (bin nur tagsüber für einige Stunden weg zur Arbeit).
Ich kann Sie so gut verstehen und ich kann auch Ihren Ärger und Ihre Verzweiflung nachempfinden. Meine Mutter kam durch Schenkelhalsfraktur in eine Klinik und war mehrere Wochen dort. Ich habe sie täglich zweimal besucht und dadurch eine Menge mitbekommen. Es gab dort unglaublich nette Schwestern und Ärzte, die sehr liebevoll mit meiner Mutter umgingen. Und es gab auch diejenigen, die dem Bild entsprechen, das Sie beschreiben. Schwestern in der Röntgenabteilung, die meine Mutter wie jeden Patienten einfach anpackten und auf die Bank zum Röntgen legten, ohne vorher auf den demenzkranken, verwirrten Menschen einzugehen. Daß meine Mutter dann wüst schimpfte und um sich schlug, war ja klar - und das wurde dann mit dem Kommentar quittert: "Unverschämtheit, sowas muß man sich ja wohl nicht bieten lassen!". Dann gab es die Schwestern, die von meiner Mutter beschimpft wurden, und bei denen ich mich entschuldigte, weil es mir peinlich war. Die Antwort: "Aber ich bitte Sie! Das bekommen wir oft zu hören. Das ist die Krankheit, das ist eben so." - auch das gibt es.
Es gab die Pfleger, die meiner Mutter beim Essen halfen und es gab die, die das Essen hinstellten und ebenso wieder abräumten, obwohl offensichtlich kein Bissen gegessen worden war. Es gab die Pfleger, die regelmäßig nach ihr sahen und ihr etwas zu Trinken nachschenkten und dann auch die ersten paar Schlucke einflößten. Und es gab die, die die ungeöffnete Sprudelflasche einfach so ins Zimmer stellten.
Es gab Ärzte, die mir in der Notaufnahme nachts eine Auseinandersetzung lieferten, meine Mutter müsse (nach einem Sturz ohne Blessuren und ohne Bewußtseinseintrübung) eine Nacht zur Beobachtung dableiben und ich als Angehörige hätte gar nichts zu sagen, sofern ich nicht Betreuerin meiner Mutter sei. Hinweis darauf, daß eine Nacht in einer Klinik alleine unter fremden Menschen für einen Demenzkranken problematisch ist - Fehlanzeige. Stattdessen Vorwürfe, meine Mutter könne doch keine Minute mehr alleine sein, sie gehöre in ein Heim, ich sei verantwortungslos.
Und es gab die Ärztin, die (gleicher Anlaß: Sturz spätabends ohne Blessuren, Notaufnahme) meiner Mutter liebevoll die Hand hielt, mit ihr scherzte und mir sagte, sie sei zuhause besser aufgehoben - Demenzkranke sollten nur im äußersten Notfall in eine Klinik, jeder Aufenthalt dort berge die Gefahr eines Durchgangssyndroms.
Meine Mutter kann aggressiv werden, wenn sie Angst hat und unter Streß steht, und das ist der nächste kritische Punkt: Im Prinzip bekommt jeder Demenzkranke in einer Klinik sofort Neuroleptika zur Nacht verabreicht, damit Ruhe ist. Das erhöht die Gefahr der völligen Verwirrtheit und sorgt dafür, daß die alten Menschen lange brauchen, bis sie sich von dem Klinikaufenthalt erholen. Als sei die Belastung durch die fremde Umgebung und die Narkosemittel nicht schon genug. Ich habe mal irgendwo gelesen, daß die üblichen Narkosegase wie Isofluran eine Demenz wesentlich verschlechtern können. Evtl. kann Dr.Spruth etwas dazu sagen.
Leider, leider war ich auf die ganze Stuation damals absolut nicht vorbereitet und bin einfach reingetappt. Ich war genauso entsetzt wie Sie. Vielfach ist Personal ungeschult und hinzu kommt, daß aufgrund der Personalverknappung auch gar nicht die Zeit da ist für eine entsprechende Pflege. Das Thema "Demenz in Akutkliniken" ist ein großes Problem. Beispielsweise hat die "Aktion Demenz e.V.", ein Verein aus Gießen, der das bürgerschaftliches Engagement für Menschen mit Demenz fördern will, eigens eine Projektgruppe gegründet, die sich mit der Situation von Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus befaßt. Das sagt schon eine Menge aus.
Ich habe erst später, als ich mich mehreren Selbsthilfegruppen angeschlossen hatte, erfahren, daß es anderen Angehörigen mit ihrem Demenzerkrankten ebenso erging und daß dagegen nur eines hilft: Das sogenannte "Rooming-In", also die ständige Begleitung des Erkrankten durch den Angehörigen, indem dieser ins Krankenzimmer mit einzieht. Das machen sicher nicht alle Kliniken, aber - so habe ich immer wieder gehört - im Interesse des Erkrankten sollte man sich eine solche Klinik suchen.
Also nochmal: Das ist ein bekanntes Problem. Es gibt sehr viel verständnisloses Personal auf Seiten der Pfleger wie der Ärzte. Und: Vorsicht, Psychopharmaka. Alte Menschen werden in Kliniken gerne ruhiggestellt, und alle diese Medikamente sind für eine Demenz überhaupt nicht gut. Oftmals wird dann behauptet, das seien Mittel "gegen die Demenz". In Wahrheit sind es Mittel, die den alten Menschen an seine Umwelt anpassen sollen, damit man keine Schwierigkeiten mit ihm hat.
Ich höre schon die Proteste des Pflegepersonals - ich weiß, daß es gute Ärzte und Pfleger gibt (siehe oben). Ich freue mich darüber, daß es sie gibt. Aber es gibt andererseits nach wie vor zuviel mittelmäßige und schlechte Pflege. Der Schaden, der dadurch angerichtet werden kann, ist zu groß - und deswegen bin ich es leid, daß Berichte über schlechte Pflege immer wieder mit dem Hinweis auf die "guten, die es ja auch gibt", relativiert werden. Mich hat das damals nämlich auch ganz schön fertiggemacht und deshalb bin ich auch dauernd in die Klinik gepilgert - auch wenn es das Personal zum Teil genervt hat. Man möchte doch das Gefühl haben, daß der erkrankte Angehörige gut aufgehoben ist. Stattdessen ist man nervös und macht sich Sorgen. Und dann muß ich sagen: Hier stimmt etwas nicht. Woran das nun liegt - ob am Geldmangel, am Ausbildungsmangel, am Gesundheitssystem, an der Gleichgültigkeit oder was auch immer - ist für mich als Patient bzw. Angehöriger zweitrangig. Alzheimer ist keine Exotenkrankheit mehr. Millionen sind betroffen. So langsam sollte es sich, vor allem unter dem Fachpersonal, herumgesprochen haben. Was ich jedoch im Rahmen der Selbsthilfegruppen, in denen ich aktiv bin, wahrnehme, ist, daß die Situation eher noch schlechter wird als besser. Dies ist wohl hauptsächlich verursacht durch den immensen Kostendruck im Gesundheitswesen.
Nun wünsche ich Ihnen, daß Ihre Mutter bald wieder nach Hause kommt, damit sie Weihnachten nicht in der Klinik verbringen muß und sich schnell wieder erholen kann.
Alles Gute für Sie und Ihre Mutter!
Liebe Grüße,
Petra H.