Re: Alzheimer mit 50 Jahren
Liebe TheodoraST,
wir Angehörigen brauchen viel Kraft und Geduld mit uns selbst, um die Krankheit anzunehmen. Am Anfang dachte ich oft, meine Mutter macht das absichtlich, um mich an sich zu binden und mich zu beherrschen, da hatte ich auch ein Phase, wo ich sie innerlich abgelehnt habe.
Inzwischen versuche ich immer mehr, mich in ihre Lage hineinzuversetzen und da ist das Mitleid größer geworden und die Liebe zu ihr, das gibt sie mir dann auch zurück. Demenzkranke haben ein sehr feines Gespür und spiegeln stark unsere eigene Verfassung wieder. Wenn ich fröhlich bin, ist es meine Mutter ebenso und wenn ich innerlich ängstlich bin, wird sie sofort wieder niedergeschlagen. Es ist auch völlig aussichtslos, den Menschen ändern zu wollen, er kann es nicht nachvollziehen. Kritisieren und Korrigieren ist verlorene Kraftanstrengung, man reibt sich auf und macht es nur schlimmer. Der Demenzkranke braucht Bestätigung, auch in den aus unserer Sicht unsinnigen Dingen, damit er innerlich nicht noch unsicherer wird. Er spürt ja, wie ihm sein eigenes Leben entgleitet.
Ich musste mein ganzes derzeitiges Leben auf sie einstellen, das heisst im Grunde alles aufgeben und nichts erwarten. Das scheint zunächst ein Verlust zu sein, aber in Wirklichkeit ist es "nur" ein anderes Leben mit anderen Schwerpunkten und durchaus kleinen Freuden und wichtigen Erlebnissen. Bisher erkennt meine Mutter mich aber noch und ich muss sagen, ich weiß natürlich nicht, wie ich reagiere, wenn das mal nicht der Fall ist, oder wenn sie z.B. agressiv würde. Meine "Ratschläge" können deshalb ja nur Anregung geben, jede Situation ist anders.
Hier ist noch ein Link zu einem Film über eine Familie, wo die Mutter in jungen Jahren die Krankheit bekommt. (Falls der Link nicht klappt: im Google eingeben: "In guten wie in schlechten Tagen (christlicher Spielfilm) Bibel TV")
http://video.google.com/videoplay?docid=7924281668414330174#
Achtung: der Film ist aufwühlend und man muss viel weinen beim Anschauen, aber er zeigt sehr gut auf, worum es geht. Mich hat er extrem ermutigt und mir Hoffnung gemacht, dass alles einen Sinn hat.
Der Mensch besteht ja aus Körper, Geist und Seele. Unsere Gesellschaft wird darauf getrimmt, nur den Körper und den Geist zu achten, aber die Seele macht den Menschen aus. Mögen Sie und Ihre Kinder die Kraft bekommen, mit ihrem Mann auf dieser Ebene dennoch Verbundenheit zu erfahren.
Aber suchen Sie sich unbedingt Gleichgesinnte und Beratung für die therapeutische und medizinische Begleitung, alleine ist es zu schwer. Und Sie müssen etwas für sich tun, Sie brauchen ein "Ventil" (Sport, Geselligkeit, Seelsorge), damit das, was Sie in sich hinein schlucken, nicht Ihre Gesundheit schädigt.
Liebe Grüße,
Eva Franziska
.............................................................................................................................................................................................................................................
Mein Steckbrief (Stand Januar 2010): Mutter, 86, betreut von mir (Tochter), 52, selbstständig. Keine weiteren Verwandten; Wohnen im selben Haus; Schweregrad: Anfang mittleres Stadium; Verstärkte Auffälligkeiten seit zirka 2006 nach Narkose wegen Arm-OP. Therapie nach Diagnose seit August 2009: Citalopram 20mg, Aricept 5mg, 1-2x/Woche Krankengymnastik wegen Gang-Ataxie; 1x/Woche tiergestützte Ergotherapie mit Hirnleistungstraining; 1x/Woche 2Std. Betreuung (über Betreuungsgeld) durch eine befreundete Ergotherapeutin mit Austausch über verschiedene Lebensthemen. Ich versuche hauptsächlich mit Hilfe integrativer Validation (Nicole Richard) die Grundstimmung zu stabilisieren.