RE: Das klingt sehr...
RE: Das klingt sehr...
Hallo Kalotta,
erstmal danke ich Dir, dass Du so offen darüber sprichst, was Dich belastet. Ich bin keine Therapeutin, aber es scheint Dir doch gut zu tun, mit jemandem zu reden, der Dich nach Deinen Empfindungen fragt, der Dir zeigt, dass er sich für Dich interessiert. Und eines kann ich schon jetzt sagen: ich halte Dich nicht für jemand, den niemand verstehen kann, für den niemand Verständnis aufbringen sollte. Ich möchte Dich verstehen, ich möchte Dir gern helfen, Dich besser zu verstehen. Und genau das wird auch ein Therapeut versuchen. Wenn Du allerdings nicht daran glauben kannst, dass professionelle Hilfe jetzt für Dich gut wäre, dann lassen wir es vorläufig so stehen. Du entscheidest, was für Dich gut ist. Niemand sonst hat ein Recht, darüber zu entscheiden, was für Dich gut ist. Kannst Du mit dieser Aussage etwas anfangen? Kannst Du JA zu der Verantwortung für Dich selbst sagen? Willst Du selbst die Verantwortung für Dich tragen?
Du liest wieder, dass ich Dir Fragen stelle. Ich stelle Dir fragen, damit Du für Dich Antworten findest. Es ist nicht wichtig, was ich denke oder für richtig halte oder was irgendwer sonst für richtig hält. Nur Du allein hast Deine individuellen Gedanken, die Deine Welt beschreiben. Deine Welt, Deine Gedanken, sind die Wahrheit, in der Du lebst. Niemand auf der ganzen Welt lebt in der selben Wahrheit. Darum kann niemand auf der Welt etwas für Dich entscheiden, denn er kennt Deine Wahrheit nicht. Du kannst versuchen, etwas von Deiner Welt z.B. an meine Welt weiterzugeben, wenn Du von Deinen Gedanken erzählst. Damit kannst Du Verständnis schaffen. Verständnis heißt nicht, dass ich Deine Wahrheit als meine Wahrheit annehme. Es heißt nur, dass ich nachempfinden kann, was Du denkst und eine Vorstellung davon habe, wie Deine Wahrheit aussieht. Das ist wertfrei. Ein Urteil kann ich mir nicht erlauben, denn es ist ja nicht sicher, dass meine Wahrheit DIE Wahrheit überhaupt ist. Sie ist es nicht. Möchtest Du zulassen und akzeptieren, ein einzigartiges Leben zu haben, mit einzigartigen Empfindungen und Gedanken? Oder widerstrebt es Dir, ein Leben zu haben, dass sich von jedem anderen Leben unterscheidet? Wenn Du zu dieser Frage JA sagst, dann können wir gemeinsam versuchen, herauszufinden, warum Du kein einzigartiger Mensch mit einem einzigartigem Leben sein möchtest.
Du schreibst: "ich habe auf eigenen Wunsch hin mein Kind töten lassen."
Es ist eine Tatsache, dass Dein Kind tot ist. Und es ist eine Tatsache, dass Du den Unwillen äußern musstest, dieses Kind in Dein Leben zu lassen. Du musstest eine Unterschrift unter eine Einverständniserklärung setzen, damit dieses Kind nicht in Dein Leben tritt. Und es gab Menschen um Dich herum, die Dich darin bestärkt haben, dass genau diese Entscheidung die richtige für Dich ist. In einer - wie Du selbst sagst - Art von Unzurechnungsfähigkeit und Hilflosigkeit hast Du eine Entscheidung getroffen, die Dir richtig erschien. Du meinst heute, dass alle Gründe, die damals dafür sprachen, dieses Kind nicht in Dein Leben treten zu lassen, heute unwichtig erscheinen. Warum meinst Du das? Meinst Du, das Leben dieses Kindes würde eine bessere Ordnung in Dein Leben bringen? Ist es nicht vielmehr so, dass Du wieder die Verantwortung für Dein Leben in andere Hände legen möchtest, um nicht selbst eine Veränderung zum Besseren herbeiführen zu müssen? Warum hat es die Partnerschaft, in der Du jetzt bist, vor einigen Monaten nicht zugelassen, dem Kind zu gestatten, in Dein Leben zu treten und warum bist Du jetzt überzeugt, dass Du die vorhandene Unordnung aufrecht erhalten musst, obwohl sie Dir so viel Wut, Trauer und Angst macht?
Du trauerst einer verpassten Chance nach, Dein Leben zu ändern. Aber Dein Leben existiert noch. Du kannst es in die Hand nehmen und anfangen, es positiv zu ändern, statt Dich mit Vorwürfen und Schuldgefühlen in einer seelischen und physischen Starre zu halten. Damit änderst Du nichts zum Besseren. Damit ist Dein Kind umsonst gestorben. Du bist Dir selbst schuldig, aus Deinen von Dir selbst so bezeichneten Fehler zu lernen. Der Fehler war nicht lediglich die Entscheidung, dem Kind den Zutritt zu Deinem Leben zu verweigern. Der Fehler liegt darin, dass Du ein Leben führst, dass Dich in eine solche Entscheidung geführt hat. Mit der (wichtigen und richtigen) Trauer um das verlorene Kind solltest Du beginnen, nicht zuzulassen, dass andere Dein Leben so gestalten, wie es nicht gut für Dich ist. Du hast die Verantwortung für Dein Leben. Niemand kann und darf darüber entscheiden, was für Dich richtig ist. Du hast die Möglichkeit, Veränderungen vorzunehmen. Immer. Auch und gerade jetzt. Tu es für Dich. Das tote Kind wird nichts mehr davon haben, aber Du selbst kannst verhindern, dass Dein Leben weiter so verläuft, dass es unverantwortlich erscheint, ein Kind daran teilhaben zu lassen.
Triff bewusst und in dem Gefühl, ein selbstbestimmter Mensch zu sein, positive Entscheidungen für Dein Leben.
Wenn der Vater des Kindes Dir nicht gut tut, dann trenne Dich von ihm.
Wenn Deine Arbeit nicht zulässt, dass Du glücklich wirst, dann beginne, nach einer Alternative zu suchen. Ich weiß z.B., dass nicht in jeder kirchlichen Einrichtung auf alleinstehende Frauen keine Rücksicht genommen wird (zumal in seelsichen und sonstigen Notlagen). Eine Sozialhilfe muss nicht die einzige Alternative zum Schichtdienst (im Krankenhaus?) sein. Allerdings musst Du Dir auch nicht selbst Dein Leben schwerer und unerträglicher gestalten als es bisher war. Überlege Dir, was Du persönlich brauchst, um glücklich zu sein, um Dein Leben als lebenswert zu betrachten. Wenn es nicht diese Arbeit ist, dann eben eine, die Dir eine positivere Ausgangsmöglichkeit für Veränderungen in Deinem Leben bietet. Und wenn das Unterstützungsmöglichkeiten beinhaltet, die die Gesellschaft als Hilfe zur Verfügung stellt, dann darfst Du sie ohne Schuldgefühle und ohne Hemmungen annehmen. Ziel sollte bleiben, dass Du die eingefahrenen Pfade verlässt, um positive Veränderungen einzuleiten.
Verlange keine Wunder von Dir selbst. Setze Dir realistische Ziele. Kleine Schritte, die Du sicher gehen kannst, sind besser als große Schritte, für die Du "Sieben-Meilen-Stiefel" bräuchtest und die Dich schnell zu Fall bringen oder entmutigen würden, weil die Ziele so hoch gesteckt sind.
Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, Dein Leben in die Hand zu nehmen und - vorsichtig, aber mit festem Willen - zu tun, was für Dich gut ist.
Wenn Du Schulden hast, dann kann eine Schuldnerberatung sicher helfen, einen leichteren Weg zur Abtragung zu finden. Hast Du darüber schon einmal nachgedacht?
Es gibt noch viele gute Jahre in Deinem zukünftigen Leben, wenn Du jetzt anfängst, konsequent die Dinge aus Deinem Leben auszuschließen, die Dir Angst, Wut, Verzweiflung und Trübsal bringen und Dir so den Lebensmut nehmen. Du hast in Wirklichkeit nicht Dein Kind umgebracht, sondern Dich selbst versucht für Deine Unfähigkeit zu bestrafen, kein glückliches, selbstbestimmtes Leben zu führen. Das ist traurig, und darum ist die Trauer auch gut und richtig. Aber Du kannst etwas dafür tun, dass dieses Mal das letzte Mal war, dass Du über Dein Leben verzweifelt bist.
Du bist ein liebenswertes Individuum. Und nur Du selbst kannst Dich glücklich machen. Tu es!
Viele liebe Grüße
Anke