Liebe Elektraa,
doch, ich weiß, dass er (auch) mein Spiegel ist. Ich habe ihm das auch schon gesagt. Wir haben es auch "poetisch" gesehen, als Morgenstern und Abendstern, die ja ein und derselbe Planet sind (Venus). Also 2 Seiten derselben Medaille. Wir sind einander gleichzeitig Spiegel und sehr ähnlich und gleichzeitig sind wir auch völlig verschieden - ich bin konfrontativ (mit Männern), er ist schüchtern (mit Frauen). Beide haben wir eine Menge zu lernen über Leben und Lieben.
Er ist mir übrigens hinterher gelaufen, und ich fand es einerseits schmeichelhaft und andererseits fand ich sein ungeschicktes Werben plump und es hat mich genervt. Nicht zuletzt, weil ich verheiratet bin, aber tatsächlich auch, weil er halt nicht so eloquent war und nicht so draufgängerisch, wie ich es bei Männern eigentlich mag (denn ich schrieb ja, ich bin Männern ggü. immer kampfbereit, und ich bin solche typischen "Eroberungsversuche" gewöhnt - nach dem Motto: Schau mal wie cool ich bin, was ich alles kann... was ich dir alles bieten kann... nimm mich, ich bin genau was du brauchst...." ;o)
Er war ganz anders, gleichzeitig schüchtern und ungeschickt, eben gar nicht mutig und frech, aber ich fand ihn schon äußerst attraktiv, als ich ihn das erste Mal gesehen habe im Seminar. Wir sind dann in der gleichen Referatsgruppe gelandet in Analytische Philosophie des Todes und haben uns mit rationaler Selbsttötung beschäftigt - also als Vortragsthema ;o). Da war er zwar sehr freundlich und hatte immer Zeit für Smalltalk, aber war auch schon recht schüchtern. Ich dachte halt, desinteressiert. In Wirklichkeit hat er drauf geachtet, mit mir zusammen in dieser Referatsgruppe zu landen.
Und dann hat er sich plötzlich aus dem Nichts in den Semesterferien 2018 gemeldet und mir getextet, dass er mich unbedingt wiedersehen müsse. Ich war aufgeregt irgendwie und gleichzeitig völlig abgestoßen. Bei unserem 1. privaten Treffen (das auf dem Uni-Campus in der Cafeteria stattfand, denn ich habe in den Semesterferien im Institut gearbeitet) eierte die Unterhaltung dann auch so herum, bis ich ihn direkt damit konfrontierte, dass ich glaube, er wollte mich wiedersehen, um anderes als rationalen Suizid, analytische Philosophie vs. Metaphysik etc. mit mir zu besprechen. Er war erstaunt und dann haben wir uns darüber ausgetauscht, dass wir beide verheiratet sind und ich habe mich Dinge sagen hören wie "ich bin moralisch flexibel, aber nicht bereit, jemanden zu verletzen" und solches Zeug... konnte ich selber kaum glauben. Plan war eigentlich, ihn freundlich aber bestimmt abzuweisen. Stattdessen haben wir uns noch öfter getroffen, und irgendwann umarmten wir uns zum Abschied und da war etwas "anders"... seine physische Berührung löste etwas in mir aus, das ich so lange nicht mehr gefühlt hatte. Und das, obwohl ich mich glücklich verheiratet wähnte und mit meinem Mann auch regelmäßig Sex hatte. Ich war also nicht "einsam" oder sowas. Oder eben doch...
Die Geschichte nahm dann ihren Lauf... es hat ein paar Monate gedauert, bis wir uns mal ein Hotel genommen haben. Und dann haben wir noch andere alternative Orte für unsere Treffen gefunden, wo es wirklich "zur Sache" ging, aber es war eben nicht nur der beste Sex meines Lebens (und ich bin nicht unerfahren), sondern da war sofort eine seltsame tiefe und verzaubernde Verbindung, die wir beide fühlten. Das bilde ich mir nicht ein, das weiß ich. Seit dem ersten Erlebnis dieser Art war mir klar, dass ich lieber komplett auf Sex verzichte, als den jemals wieder mit einem anderen Mann zu praktizieren. Das ist mein voller Ernst. Wäre das nicht so, es wäre kein Problem, nicht nur mein Mann stünde zur Verfügung, Sex findet man überall, da muss man nicht lange suchen.
Ich idealisiere ihn nicht, ich war im Gegenteil sehr mißtrauisch, habe ihn gegooglet, habe sogar Zugriff auf seine Studienakte genommen (er hat sich mal auf meinem Laptop mit seinen Zugangsdaten eingeloggt und ich habe seltsamerweise diese Daten spontan gespeichert. So hab ich rausgefunden, dass er nicht über alles immer so ganz die Wahrheit gesagt hat - er war nicht im 5., sondern im 10. Semester (Philosophie und Politikwissenschaften).... war ihm wohl peinlich... mir dann auch, und zwar die Tatsache, dass ich da herumgeschnüffelt habe.
Naja, aber ich kann nichts daran ändern, wie sinnlich überwältigend unsere physischen Begegnungen jedesmal waren. Der Mann ist halt mein "Adonis". Noch Stunden, sogar Tage später waren wir völlig erfüllt davon. Aber dann packte mich die Gier und ich wollte immer mehr und habe in echter Manager-Manier versucht, regelmäßige Treffen für uns beide zu planen, was ihn überfordert hat. Er ist nicht so der Organisator (s. 10. Semester....;o)).
Im letzten Semester habe ich dann 3 Monate Praktikum gemacht, mich auf ne Abschlussprüfung vorbereitet und meine Bachelorarbeit geschrieben, so dass ich kaum an der Uni war und wir uns zum erstenmal wochenlang nicht sehen konnten. Ende Mai dann folgte der erste Rückzug seinerseits, der bis Juli dauerte. Ich habe ihn zuhause aufgesucht, weil ich wissen wollte, ob er noch lebt! (v.wg. wenn er nen Unfall hätte, ich würde es ja nie erfahren...)
Ich war völlig fertig in der Zeit, aber mein Studium/Praktikum, also meine Aufgaben habe ich alle trotzdem erledigt. Da fing auch die Histaminintoleranz an mit Hautausschlägen und Magenproblemen. Ich mußte wissen, was los ist bei/mit ihm, und ich hatte nen Plan, falls nicht er, sondern seine Frau an die Tür gehen würde. Alles perfekt ausgedacht, so daß niemand Verdacht hätte schöpfen müssen. Er ging aber selbst an die Tür seines kleinen "spießigen" Reihenhauses mit massig Nachbarn drumherum. Das war eine seltsame Szene - er öffnete völlig verpennt, nur in T-Shirt und Unterhose, die Tür. Mir schlug das Herz bis zum Hals, ich zitterte am ganzen Körper, aber sein Hund kuschelte sich an mich und er und ich hielten uns an den Händen. Er wollte mich küssen, aber da wich ich aus. Ich machte ihm den Vorschlag, mal nen Kaffee zu trinken und zu reden, und ein paar Tage später trafen wir uns an der Uni und er wollte so weitermachen, als sei nie etwas geschehen. Das konnte ich aber nicht, ich wollte eine "Entwicklung".
Was ich nicht kapiert hatte - ich hatte bereits eine Entwicklung durchgemacht. Ich habe monatelang unter Liebeskummer gelitten und dabei zum 1. Mal kapiert, mit welchen unverarbeiteten Verlustängsten ich durchs Leben gewandelt bin. Und wie ich meine Ängste, Schuldgefühle etc. auf ihn projiziert habe. Dass ich Freiraum für mich selber brauche und was ich wirklich will im Leben.
Wir haben uns seitdem nur wenige Male getroffen, das letzte Mal Ende August. Ich habe ja auch bis Ende September an meiner Bachelorarbeit geschrieben und er hat - leider vergeblich - versucht, diverse Prüfungen abzulegen (er ist jedesmal krank geworden). So war er erst wochenlang krank, dann ich, nachdem ich die Bachelorarbeit endlich fertig hatte.
Aber er hat wochenlang auch einfach gar nicht geschrieben, auch nicht, dass er krank ist. Andere schaffen das - meine beste Freundin mit Krebs hat mir direkt Post-OP ne Nachricht geschickt, dass sie ok ist... er kann nicht mehr schreiben, wenn er nen Zahn gezogen bekommt oder ne Erkältung hat. Naja.
Dann meldet er sich wieder und schreibt wieder so, als wäre er gar nicht "weg" gewesen, dabei waren es 3 Wochen seit dem letzten Kontakt. Und ich war etwas reserviert in meiner Reaktion, denn er hat mich in einem schlechten Moment erwischt, und schwupp, ist er wieder weg, zurück in sein Schneckenhaus, und da befindet er sich seit 23.10.
Ne, ich idealisiere ihn nicht. Ich weiß, daß er liebesfähig ist, weil ich es erlebt habe, aber ob/wann er mal "Beziehungsmaterial" ist - weiß ich nicht. Das ist mir aber auch egal, ich brauche keine neue (symbiotische/konventionelle) Paar-Beziehung, ich will nur, dass er wieder physisch in meinem Leben ist, dass wir uns auch mal wieder austauschen auf anderer Basis wie in unseren Anfangszeiten, mal wieder zusammen in ne Kunstausstellung gehen etc. Dinge, die wir vorher auch gemacht haben, bevor sich alles auf den Sex fokussierte, weil wir kaum noch Zeit füreinander hatten, aber völlig heiß aufeinander waren. Ich halte es für möglich, dass er einfach zu schüchtern und zu ungeschickt ist, um mit der ganzen Situation anders - offener - umzugehen. Und offenbar ist es zu anstrengend für ihn.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er das, was wir da haben (was auch immer das ist) aufgeben will. Aber ob/wie das alles nun weitergeht, weiß ich nicht. Ich wünsche mir, dass es weitergeht, klar. Was schöneres als mit diesem Kerl zusammen zu sein gibt es fast gar nicht. Ganzkörperorgasmus. Wirklich wahr. Keine Illusion! Geradezu unheimlich ist diese körperliche Kompatibilität zwischen uns. Aber ob wir uns dabei nur spiegeln? Ich glaube, dabei sind wir wirklich "eins" und werden sogar etwas neues, wir transformieren...bzw. erzeugen eine Liebesenergie mit Transformationspotenzial... "Selber machen" kann niemals diesen Effekt haben... ;o)
Übrigens, hier noch was Seltsames: ich habe 1997 ein Bild von einem Kerl gemalt, der aussieht wie A. - so aus meinem Bauch heraus, ohne damals jemanden zu kennen, der ähnlich aussah... der Typ auf dem Bild gleicht A. mit Ende 20...
Oje, was für ein Roman!!! Ich danke dir jetzt schon fürs Lesen!
Herzliche Grüße und süße Träume
Venus