RE: untergewicht
Hallo Monika,
gern antworte ich Dir nochmal. Die Situation die Du da schilderst, ist mir nur allzu gut bekannt ;-). Zunächstmal möchte ich Dir sagen, dass Du Dir auf keinen Fall irgendwelche Schuldgefühle (schlechtes Gewissen) machen darfst!! Auch wenn Du denken solltest, dass sie da reingeschliddert ist, weil Sie sich mit Dir verglichen hat! Du kannst wirklich nichts dafür, denn wenn Sie sich nicht Dich als Idealbild vorgenommen hätte, dann eben eine andere schlanke Frau. Hier liegt auch überhaupt nicht die Wurzel Ihres Problemes. Ich hab mich damals auch ständig mit meinen schlanken Freundinnen, Schauspielerinnen etc. verglichen. Man kann auch gar nicht damit aufhören, es ist wie ein innerer Zwang; allerdings schätzt man sich dann grundsätzlich dicker ein (das hat was mit der gestörten Wahrnehmung des eigenen Körpergewichtes zu tun). Stell Dir vor: man hat sogar mal Versuche mit Magersüchtigen gemacht, indem man sie nackt von hinten fotografiert hat. Die erste Reaktion der Magersüchtigen: Ogott, ist die dünn. Aber als sie dann wusste, dass sie es selbst war, hat sie den Körper wieder völlig anders beurteilt. An dem Beispiel siehst Du ganz gut, wie krank die Einschätzung über sich selbst sein kann.
Wie Du weiter mit Deiner Kollegin umgehen sollst, ist schwer zu sagen. Im Grunde genommen musst Du das selbst wissen, ich kann nur meine Meinung dazu sagen, die nach allen Erfahrungen, die ich gemacht habe, zugegeben extrem ist. Ich sag sie trotzdem mal ;-)): auf keinen Fall darfst Du Mitleid haben !! Das ist ganz ganz wichtig!! Es ist schwer das jetzt richtig rüberzubringen. Meine Eltern haben damals den Fehler gemacht, immer nur Rücksicht auf mich zu nehmen. Sie haben mich wie ein rohes Ei behandelt. Und das hat mich dazu gebracht, weiterzumachen, denn ist doch furchtbar angenehm wenn jeder auf einen Rücksicht nimmt. Das hab ich dann auch total ausgenutzt um ehrlich zu sein. Ich denke, unbewusst beansprucht Mitleid und Rücksicht jede Magersüchtige für sich.Du hast das ja auch schon selbst erwähnt: man gefällt sich in der Rolle. Klar, das ist so ! Logisch, ich habe mir auch gedacht: erstens bin ich besser als andere, weil ich nicht essen muss. Ich bin viel disziplinierter, ausserdem muss man mich ja schützen, weil ich so zart und schwach bin. Wenn ich ehrlich bin (und das kann ich heute sein), dann hab ich mir das so gedacht. Weisst Du diese "Krankheit" ist nicht wie z.B. Krebs, den man einfach so bekommt und plötzlich vielleicht sterben muss. Das hier ist völlig bewusst gesteuert.Ich möchte nicht bestreiten, dass schlimme psychische Probleme zugrundeliegen, denn irgendwoher muss diese Denke ja kommen. Ich werde heute zugegeben sogar sauer, wenn ich sehe, wie sich jemand so zugrunde richtet. Aber das ist wahrscheinlich eine
Reaktion die auf meiner eigenen Erfahrung beruht.
Was kannst Du tun, um Deiner Kollegin zu helfen ?
Sicher fühlst Du Dich hilflos,weisst nicht wie Du mit Ihr umgehen sollst. Bleib ganz normal, und beachte Ihr "Anderssein" nicht. Versuch abzublocken, wenn das Thema aufkommt oder sie sich wieder mit Dir vergleicht. Du hast sicher schon alles versucht und alles gesagt, was zu sagen war. Gib Ihr nicht die Gelegenheit, noch mehr Mitleid, Rücksicht und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das ist superhart, ich weiss. Aber Du kannst Ihr nur so helfen, Ihren Realitätssinn wiederzufinden. Anders kannst Du Ihr leider nicht helfen. Das kann nur sie selbst, und zwar dann, wenn Sie an dem Punkt ankommt, an dem sie merkt, dass es ihr schlecht geht, so schlecht das sie vielleicht sterben muss. Mir gings damals so, und ich dachte echt, das wars dann. Und dann kam mir der Gedanke: lieber gesund und "dick" als nochmal so ein Gefühl zu erleben. Das ist bei jeder Sucht so, bei den Alkis und den Drogenabhängigen. Man muss ganz unten angekommen sein, um Kraft zu mobilisieren, was zu ändern! Therapien unterstützen nur, Erlebnisse, die Ursachen sein können, aufzuarbeiten.Die Magersucht ist ja nur dazu da, Unsicherheit zu kompensieren. Du siehst ja, wie oft Betroffene lügen, wie verbohrt sie sind, um Ihre Sicherheit, die sie aus der Krankheit gewinnen, nicht zu verlieren.Die Wand kann man leider nicht einbrechen. Sie würde sich vielleicht
Gleichgesinnten öffnen. Aber auch das ist gefährlich, da man da noch mehr Konkurrenzverhalten an den Tag legt, und unter Unständen noch "nützliche" Tipps zum "Gewichtsabbau" erhält. War zumindest bei mir so.
Aber auf jeden Fall find ich es super und sehr toll von Dir, dass Du Dich mit der Problematik Deiner Kollegin auseinandersetzst.Und Du hast eine ganze Menge Einblick und sehr viel begriffen und richtig erkannt. Wenn Du noch Fragen an mich haben solltest, dann mail mir doch auf meine Email:
[email protected]. Würd mich wirklich sehr freuen!
Bis dann
Nadja