Re: Traumatisches Delirium
Herr Dr. Spruth, von mir stammt der Satz vom "Kämmerchen(gerne auch ans Bett gebunden)", meine Bemerkung war nicht diffamierend gemeint, es war etwas flapsig ausgedrückt und ich meinte es nicht wörtlich, dass gerne fixiert und weggeschoben wird, damit würde ich ja unterstellen, dass das Pflegepersonal Freude daran hat, gar sadistisch wäre. Im Gegenteil, ich schätze die Arbeit des Pflegepersonals sehr hoch.
Meine Erfahrungen sind aus dem Allgemeinkrankenhaus, wir gingen ja auch in diesem Thread von einem akut eingetretenen Zustand nach der Lungenentzündung aus, bei uns waren es Operationen, einmal eine kleinere und eine große mehrstündige BauchOP.
Ich war bei meiner Mutter als Begleitperson mit im Krankenhaus und habe das Durchgangssyndrom (oder traumatisches Delirium oder postoperative Psychose, wie immer es korrekt heissen mag) hautnah miterlebt. Ich muss sagen es war schon sehr heftig. Wäre ich nicht dabeigewesen, hätte man auf jeden Fall medikamentös oder mechanisch fixieren müssen.
Es ist für das Pflegepersonal gar nicht möglich, die ganze Nacht am Bett zu sitzen. Ich bekam etwa 30 Minuten lang Unterstützung, aber sie endete recht abrupt, als meine Mutter mit Beschimpfungen und Beleidigungen anfing und tätliche Angriffe erfolgten, man glaubt ja nicht was ein 90jähriges frisch operiertes kleines 47kg schweres Mütterchen mit großer Bauchwunde für Kräfte aufbringt um Knüffe zu verteilen und sich zu wehren. Das ist ja genau auch das Dilemma, dass die Patienten nicht dankbar Hilfe annehmen, es ist gar nicht ungewöhnlich, dass sie sich recht unbeliebt machen mit ihren Ausfällen und, irgendwie ja verständlich, dadurch auch mal etwas schroff behandelt werden.
Wir geübten Pflegenden wissen das schon eher wegzustecken, meistens jedenfalls, dem Pflegepersonal im Krankenhaus gestehe ich durchaus zu, dass es mehr Schwierigkeiten damit hat.
In einem Forum für Pflegeberufe habe ich diesen Beitrag gefunden, er drückt recht klar aus, was die Probleme sind, Zitat:
...Es nervt, es macht ratlos und manchmal auch verdammt sauer. Ich bin auch immer wieder tüchtig erstaunt darüber, wie lange Menschen ohne Schlaf auskommen können, wenn sie tage-und nächtelang da herumtoben und wieviele Medikamente sie in dieser Phase wegstecken. Ich bin eine trainierte und kräftige Frau und ich bin mir sicher, daß mich die Hälfte der gegebenen Substanzen eines Nachtdienstes eine Woche schlafen ließen. Es tut mir für die PatientInnen auch oftmals sehr leid, wenn klar zu erkennen ist, daß die einfach eine Scheiß-Angst vor uns haben. Das empfinden glaube ich auch viele als Kränkung, "ich will dem nix böses und der tritt nach mir und tafelt mir eine!" Ich denke, wenn man sich eine eingefangen hat, ist auch Ende der Fahnenstange. Da kann man dann eigentlich nur noch gehen... [Zitatende]
Ich saß also die ganze Nacht am Bett, als ich morgens dann aus Erschöpfunf für 10 Minuten eingenickt bin, ich dachte, Mutter wäre nun ruhiger und würde einschlafen, riss sie sich alle Verbände und Schläuche weg. Wir, der Pfleger von der Frühschicht und ich, haben dann besprochen was nun zu tun sei. Ich war total erschöpft und brauchte dringend eine Mütze Schlaf, ich hatte die Nacht ununterbrochen mit Körperkontakt, reden, singen, vorbeten, Hände festhalten, beruhigen, streicheln, halten, bitten und betteln und auch mal heulen verbracht, ununterbrochen mit vielleicht 2x30 Sekunden Toilettenpause, ich war wirklich am Ende meiner Kraft.
Ich war inzwischen reif fürs Fixieren, ich sah keine andere Möglichkeit. Mechanisch oder medikamentös? Ich hatte mich von unserem Neurologen vorher beraten lassen und zur Beruhigung Melperon in niedrigster Dosierung langsam eingeschlichen. Dosis erhöhen? Haldol?
Ich bin dem Pfleger dankbar für seine klare Aussage: wenn man die Fesseln löst, dann sind sie weg. So haben wir es gemacht und zwei Stunden später war der Spuk erstmal vorbei und die Fixierung wieder weg und mein Mütterchen konnte sich tagsüber etwas erholen und war gar nicht so schlecht drauf.
Auch die nächste Nacht war heftig, aber es war schon milder, die folgenden Nächte waren unruhig und anstrengend, aber es war gut machbar und ich konnte auch mal halbstundenweise schlafen, jedoch ohne meine ununterbrochene Anwesenheit wäre es recht gefährlich für meine Mutter gewesen, man hätte sie zum eigenen Schutz fixieren müssen. Nach einer Woche waren nur noch mehrmalige nächtliche Wanderungen notwendig um die Unruhe zu mildern, nach 10 Tagen war es ziemlich vorbei und ich habe das Melperon langsam ausgeschlichen. Übrig blieb eine erhebliche Verstärkung der Demenz. Nach 2 Monaten hatte sich das aber gut erholt und nach 4 Monaten war der MMST um 9 Punkte gestiegen, gegenüber dem Test 2 Wochen nach der OP. Und gegenüber einem Jahr vorher um 3 Punkte. Selbst wenn man den Test nur als Anhaltspunkt sieht, es entspricht meiner gefühlten Einschätzung.
Ich scheine nun alles ganz richtig gemacht zu haben um die doch sehr riskante Operation nicht zum Fiasko werden zu lassen. Ich habe mich vorher informiert und mir Gedanken gemacht. Im Krankenhaus hat man akzeptiert, dass ich mich um die "Kopfmedikamente" kümmere und ich habe entschieden Melperon zu geben und schnell wieder abzusetzen und dass kein Haldol oä gegeben wird.
Gut und schön, aber was passiert mit Patienten, die nicht diesen vollen Einsatz der Angehörigen erwarten können? Denn nicht jeder Pflegende kann oder will sich so einsetzen und nicht jeder hat die Erfahrung gemacht, dass es notwendig ist. Aus verschiedenen Gründen ist es, so wie wir es gemacht haben, ja doch eher ein Einzelfall.
Warum bereitet man sich im Krankenhaus nicht besser darauf vor, offenbar ist bei Patienten mit Demenz, mit hohem Alter und mit bereits vorher erlittenem Durchgangssyndrom das Risiko doch sehr hoch. Kein Arzt hat mal nachgefragt, kein Pfleger war auf die Situation vorbereitet, keine hilfreichen Tipps, kein guter Rat, keine Hilfe, als wäre es, genau wie für mich, das erste Mal.
Vom zweimaligen Durchgangssyndrom steht in Arztbriefen bei uns nichts, es scheint als pflegerisches Problem gesehen zu werden, hat mit dem akuten Fall nichts zu tun, andere Baustelle. Wir Angehörigen wurden beim ersten Mal, bei der kleinen OP, nicht informiert, das "Problem" verschwiegen bzw verschleiert. Warum spricht man nicht darüber, als wäre es etwas Peinliches. Oder ist es der Umgang mit dieser Erscheinung, der peinlich ist? Meine Mutter wurde damals vorzeitig entlassen, wahrheitswidrig "auf Wunsch der Angehörigen". Im Klartext, man wollte sie loswerden und übergab mir eine völlig desorientiere Frau.
Tatsache ist, man kann den Patienten in so einem Zustand nicht alleine lasse, selbst dann nicht, wenn es nicht so heftig ist, wie es bei uns war. Es genügt nicht, alle halbe Stunde mal einen Blick ins Zimmer zu werfen, ich sehe schon die Notwendigkeit der medikamentösen und mechanische Fixierung, der Patient verletzt sich sonst. In einem Mehrbettzimmer stört er tatsächlich die Mitpatienten erheblich, die brauchen ihre Nachtruhe auch dringend.
Weil ich weiss, wie so eine Nacht verlaufen kann, sehe ich die Fixierung als normal und vielleicht auch notwendig an, wahrscheinlich üblich, was soll man denn sonst tun? Es sei denn, es gibt eine 1:1 Betreuung. Die darf aber nicht abhängig sein von liebenden Angehörigen, denn was passiert mit den Patienten, bei denen niemand ist? Mir scheint, dass das Pflegepersonal mit dem Problem alleine gelassen wird und wirklich gar nicht anders kann als mit Vollfixierung und Haldol zu reagieren.
Ich will den meisten Pflegekräften hohe sittliche und moralische Grundsätze nicht abstreiten, gesundheitspolitische oder verwaltungstechnische Ungereimtheiten muss sich kein Pfleger auf die Rechnung setzen lassen.
Doch bei den vielen Berichten, dass demenzerkrankte Angehörige nach wenigen Tagen Krankenhausaufenthalt total "abgeschossen" zurückkehren, sich kaum auf den Beinen halten können, inkontinent sind und nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, muss man wohl annehmen, dass etliche Fehler in der Anwendung und Dosierung von sedierenden Medikamenten gemacht werden, dass die Sorgfalt mit solchen Medikamenten die Sie als Facharzt und die ich als aufmerksame und sorgende Angehörige walten lassen, nicht unbedingt bei allen Pflegekräften gegeben ist, sei es aus Unwissenheit oder auch aus Zeitnot.
Aufklärung tut not.
lg
Jetti