RE: Hochbegabung
Sie haben völlig recht, man muß das Kind nehmen, wie es ist. Tatsache ist, dass in Deutschland die Hochbegabten Kinder nicht ausreichend gefördert werden (können). Es ist hier leichter ein Kind mit einer Minderbegabung zu fördern, als ein Kind mit einer Hochbegabung. Nachdem mein Sohn jetzt 13 Jahre alt ist, muß ich einfach behaupten, ich kann da mitreden.
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Das ist wohl leider so - diese Erfahrung haben wir auch gemacht.
Die Tests erlernen? Diese Tests werden an das jeweilige Alter angepasst. Mein Sohn zum Beispiel hat von diesen Tests seit seinem dritten Lebensjahr insgesamt 5 absolviert. immer passend zur Altersstufe. Und, das Ergebnis war immer identisch. Das wie erwähnt in 3 verschiedenen Städten in zwei Bundesländern. Intelligenz ist nämlich angeboren und nicht erlernbar. Das Wissen ist erlernbar. Diese Tests arbeiten aber in der Regel nicht auf Wissensbasis.
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Meines Wissens sind erst die Tests ab 14 reine Intelligenztests, bei denen kein Wissen mehr abgefragt wird. Durch Übung schafft man bei reinen Intelligenztests nur wenige Punkte mehr. Die Ergebnisse bleiben unter normalen Bedingungen relativ konstant, sind also nicht durch lernen oder üben wesentlich zu beeinflussen.
Bei Kindern bestehen allerdings Teile dieser Tests aus reiner Wissensabfrage (Mit 12 Jahren etwa: Wer war Anne Frank? Wie weit ist es von der deutsch-dänischen Grenze zu der deutsch-österreichischen? etc.) und Teilen, die sehr wohl durch Üben verbessert werden können. Ich denke daher, dass die Erfahrung des Beurteilenden eine sehr große Rolle spielt - und diese kann eben auch recht subjektiv sein und somit ist das Ergebnis/die Beurteilung störanfällig.
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Ein Kind fördern? Wie wollen Sie das machen? Ein Beispiel, mein Sohn hat keinerlei sensorisches Empfinden (taktil, Schmerzen, Kälte) erklären Sie mir, wie sie ein solches Kind ein Instrument erlernen lassen wollen, was machen Sie, wenn ein solches Kind gar kein Instrument erlernen mag? Es sagt sich sehr leicht, man muß es nehmen wie es ist, aber mein Wunsch an diese Eltern war sehr ernst gemeint. Die Kinder leiden nämlich in der REgel. Fast alle haben irgendwelche Defizite. (bei uns das Sensorische Empfinden, bei Tine das ADHS usw.) Das stellt die Kinder ziemlich schnell auf die Exotenschiene und die Kinder leiden einfach. Natürlich kann ein Kind eine Klasse überspringen. Meines brauchte bis zur 7. Klasse, bis es in der Lage war, das Handeling vom Schreiben so um zu setzen, dass das Schriftbild lesbar war. Wir leben im Zeitalter des PC. Diese Entwicklung geht an vielen Lehrern vorbei. Da werden Kinder von Lehrern beschimpft, weil sie nicht ordentlich ausschneiden können. (Lehrer denen die Problematik bekannt ist). Jetzt ist mein Kind in der Lage die Klassen zu überspringen. Aber die ersten 7 Schuljahre waren für ihn die Hölle! Frau Ullmann ich versteh das nicht, das Kind ist so intelligent, kann so scharfsinnig denken, rechnet wie ein Weltmeister, warum kann er das nicht mal einfach auf Papier bringen? Antwort: lassen sie ihn auf dem PC schreiben, ich kaufe meinem Kind ein Notebook, dann sehen Sie, wie er schreiben kann, lassen Sie ihn doch mit dem ergonomischen Bleistift schreiben, statt mit dem Füller, den er nicht beherrscht und in Druckbuchstaben, dann können Sie das auch lesen! (man stelle sich doch einfach mal vor, man solle schreiben und spürt einfach den Stift in der Hand nicht.) Reaktion: na darauf können wir nicht eingehen. W'as will dann der nächste haben? Das ist mir in drei verschiedenen Schulen so gegangen.
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Da kommt auch mir einiges bekannt vor, nicht so gravierend, aber diese Tendenz kenne ich auch (Schrift z.B. und die Rechtschreibung (die ist ja nicht logisch), Üben und Auswendiglernen ist eh ein Horror - auch mag er nicht gerne angefasst werden, was allerdings nun besser geworden ist ). Und die Kinder leiden, das stimmt auch. Mit der Einschulung begannen auch bei uns die Probleme. Die Lehrerin verstand ihn nicht und er wurde bloßgestellt und lächerlich gemacht, bis er beschloss zu schweigen - bis heute ist das sein Markenzeichen in der Schule. Mit zwölf wurde das Kind depressiv - die erst dann gestellte "Diagnose" der Hochbegabung half da wenig. Zwar wusste es nun, dass es nicht verrückt ist, aber an der schulischen Situation änderte das ja nichts. Er war längere Zeit suizidgefährdet.
Man riet uns, ihn in schulischen Angelegenheiten in Ruhe zu lassen - nur einen Rahmen zu stecken (z.B. auf dem Zeugnis sollten keine Vieren sein) - und nicht erwarten, dass es nur Einsen nach Hause bringt. Der Schule habe ich die Hochbegabung nicht mitgeteilt, einigen Lehrern habe ich andeutungsweise das zu verstehen gegeben.
Außerschulisch , so sagte man uns, müssten wir aber etwas finden. Er hörte auf Klavier zu spielen, bekam einen Computer und durfte fortan programmieren (und natürlich auch ab und an spielen) und im Internet surfen, sich auf Fach-Foren tummeln. Wir schufen Kontakte, so dass er bei einer Firma in den Ferien und in der Freizeit dort mitarbeiten konnte. Und siehe da, er wachte auf, er redete, er erklärte anderen Studenten von der BA das Programmieren etc. Keine Spur mehr von dem, was von Seiten der Schule mit dem Schlagwort "soziale Inkompetenz" belegt wird. Er merkte, dass man ihn und das was er kann, schätzte. Die Depression ist verschwunden. Während der letzten Ferien arbeitete er bei einem Weltunternehmen als Praktikant. Die wollen ihn im Sommer wieder nehmen. Und trotzdem. Gerade heute kam er und fragte, ob ich nicht etwas wüsste, was er machen könnte, das ihn so richtig beansprucht.... Zur Zeit hat er wieder einen Hänger und spielt viel zu viel aus Langeweile. Da hat man dann doch immer mal wieder die Angst, es könnte vielleicht bergab gehen...
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Bei den wirklichen Problemen können einfach nur die Mitreden, die wirklich selbst betroffen sind.
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Ich weiß, es ist schwer, wenn die Förderung an einem selbst als Eltern hängen bleibt, aber man muss alles dran setzen, dass es eine Förderung gibt. Ich habe das mit dem Instrument nur als Beispiel gesagt - und nicht als Unwissende, sondern als selbst betroffene Mutter. Doch auch Hochbegabte sind sehr unterschiedlich, mit unterschiedlichen Schwächen und Stärken.
Unser zweitältestes Kind ist zwar nicht getestet, aber auch sie hatte nach der Einschulung große Probleme (konnte schon sehr gut lesen etc) - ein Schulwechsel brachte hier Abhilfe. Und dann kam sie am Ende der 7. Klasse mit der Forderung, dass sie eine Klasse überspringen möchte. Etwa die Hälfte der Lehrer fand das anmaßend, war dagegen. Sie durfte dann - und war nach einem Jahr wieder Klassenbeste. Unser Sohn wollte nie springen. Er sitzt seine Zeit in der Schule ab - am Nachmittag hat er mit de Schule nicht mehr viel am Hut. Da macht er andere Dinge.
Und dann gibt es da noch Hochbegabte Kinder, die ganz ohne Probleme die Schule durchlaufen und auch sportlich sind und beliebt.
Wenn ein Kind Probleme hat und man sich mit ebenfalls betroffenen Eltern berät, dann hat das ganz sicher positive Auswirkungen: Man sieht, dass es anderen auch so geht oder ähnlich, man kann Erfahrungen austauschen, es tut einem einfach gut etc. Eine Gefahr besteht allerdings auch: Meist treffen sich Eltern, wenn es Probleme gibt (was ja auch richtig ist - s.o.). Nur kann dies dann leicht dazu führen, dass man aus den Augen verliert, dass man es eben mit einer bestimmten Auswahl an Eltern zu tun hat und dass es auch viele Betroffene gibt, bei denen es mit der Hochbegabung nicht so viele Probleme gibt. Im Englischen sind hochbegabte Kinder "gifted children" - in unserer Gesellschaft hat man zeitweise den Eindruck, als sei Hochbegabung ein Makel, eine Behinderung. Das ist ein großes Problem.
Ein Trost vielleicht noch am Ende: In den höheren Klassen, zählt die Denkleistung immer mehr. Abgesehen von notwenidigem Auswendiglernen (Vokabeln) spielt das sture Auswendiglernen zwar bei manchen Lehrern immer noch eine (zu große) Rolle, aber das Verhältnis Auswendiglernen/selbst erbrachte Denkleistung verschiebt sich doch. Und man muss nicht nur das wissen, was man in der letzten Woche gemacht hat, sondern den Überblick behalten. Da haben diese Kinder doch Vorteile, solange sie es schaffen, dem Unterricht doch einigermaßen aufmerksam zu folgen. Unser Junge bekam oft Punktabzüge für schlampig geschriebene Zahlen oder Buchstaben - das ist halt in der Schule bei uns so. Er sagte dann immer: "Reg dich nicht auf. Letztendlich ist es egal- Hauptsache, ich habe das Ganze verstanden. Niemand schaut später noch auf das Zeugnis der 7. oder 8. Klasse. Wenn es darauf ankommt, dann werde ich mein Bestes tun und das abstellen." Nun kommt er in die 12. - und hat sich feste vorgenommen, sich nächstets Schuljahr im Unterricht zu melden und sauberer zu arbeiten. Er will einen Ordner, einen Terminplaner etc. Denn jetzt geht es ans Eingemachte. Ich bin gespannt.
Ihnen, Frau Ullmann, und Ihrem Sohn wünsche ich alles Gute.
Degi