Die, die wir durch die Hölle gehen!
Die, die wir durch die Hölle gehen!
Heilt die Zeit wirklich alle Wunden?
In größter innerer Not, kurz vorm Durchdrehen, zu allem fähig, nicht mehr ein noch aus wissen, von unsagbarem Trennungsschmerz gequält werden - Liebeskummer ist grausam. Wenn der Partner geht, schmort der Zurückgebliebene in der Hölle. Nächte werden durchgrübelt, Sehnsucht sprengt die Brust, Ängste fressen die Seele auf: Das "Ich" stürzt in ein Schwarzes Loch. Die einen greifen zu Tabletten, andere suchen Trost im Suff. "Ich trink' auf dein Wohl, Marie, auf das, was mal war", mimt Schlagersänger Frank Zander lallend ins Mikro. Manche Männer harren nächtelang im Regen vorm Haus der Angebeteten, andere terrorisieren die Ex mit Salven von Anrufen. Verlassene Frauen stechen ihrem Verflossenen schon mal die Autoreifen platt oder kippen ihm eine Ladung Beton ins Cabrio. Vielen bricht die Krise das Herz. Liebeskummer ist das Hauptmotiv der jährlich 13 000 Selbstmorde in Deutschland.
Doch Liebeskummer ist nicht gleich Liebeskummer. Denn schon die Liebe selbst hat viele Gesichter. Wir empfinden mit 17 anders als mit 70. Und sicher spielt auch eine Rolle, ob ein Paar zwei Wochen oder zwanzig Jahre lang zusammen ist. Zudem können höchst unterschiedliche Gefühle zwei Menschen aneinander fesseln. Entsprechend vielfältig wendet sich dann eines Tages das Glück. Der seelische Tiefschlag kann durch Untreue des anderen kommen oder schlicht durchs Erlöschen der Gefühle. Manch einer quält sich jahrelang in einer Dreiecksbeziehung, ein anderer leidet, weil er Leidenschaft erst gar nicht entfachen konnte, die Angebetete seine Schwärmereien überhört. Und jeder wiederum reagiert in der Krise anders. Der eine schnappt sich sofort tröstenden Ersatz, beim anderen heilt die Wunde nie.
Das Drama, das fast jeder auf seine Weise im Leben einmal und die meisten sogar wesentlich öfter erleiden, haben Dichter seit eh und je zu Meisterwerken verarbeitet. So erzählt Hans Christian Andersen in seinem Märchen "Die kleine Seejungfrau" von einer Nixe, die nach unerfüllter Liebe zu einem Menschen-Prinz in Meerschaum zerfällt. William Shakespeare lässt im "Hamlet" des Prinzen Geliebte Ophelia aus Liebeskummer irrsinnig werden. Und in Goethes frühem Werk "Die Leiden des jungen Werther" verzehrt sich ein unglücklich Verliebter nach der Angebetenen und geht mit großen Seelenqualen vor die Hunde: Werther erschießt sich.
Während der Trennungsschmerz bei Dichtern aller Epochen Dauerthema war, kümmerten sich Psychologen herzlich wenig um seine Ergründung. Wohl deshalb, weil sich bereits Sigmund Freud kaum dafür interessierte, vermutet Igor A. Caruso, der als Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie in Salzburg lehrte. Eine Generation von Seelenforschern habe "das ehrbare, ausgesprochen monogame und bürgerlich vorbildliche Privatleben von Sigmund Freud" zum Vorbild erhoben und sich moralisch beeinflussen lassen. Caruso hat sich als einer der wenigen Wissenschaftler in seinem Werk "Die Trennung der Liebenden" des Themas angenommen.
Dass in der Seele eines Verschmähten weit mehr passiert, als viele wahrhaben wollen, liegt in der Natur menschlicher Bindungen. Wenn zwei zu einem Paar werden, so die Erkenntnis der Psychologie, werden die Grenzen zwischen "Ich" und "Du" niedergerissen. Beide verschmelzen und begeben sich in Abhängigkeit - wie als Baby bei der Mutter. Und deshalb kommen bei einer Trennung im späteren Leben Gefühle und Ängste hoch, als hätte uns die überlebenswichtige Mutter verlassen. "Der Schmerz, den die Liebestrennung hervorruft, gehört zu dem Entsetzlichsten, das wir imstande sind zu ertragen", hat Psychologe Caruso aufgrund zahlreicher Gespräche mit Patienten herausgefunden.
Was in einem Verlassenen passiert, versuchen inzwischen auch Biochemiker zu ergründen. Tage- und wochenlang, so haben sie herausgefunden, läuft im Körper des Leidenden die Produktion des Stresshormons Cortisol auf Hochtouren. Der Stoff wird von der Nebennierenrinde hergestellt und in die Adern ausgestoßen. Das Blut spült ihn in den Organismus und ins Hirn. Cortisol bewirkt Gefühlsverwirrungen und depressive Stimmungen. Die innere Uhr des Menschen gibt den Befehl zur Produktion immer in den frühen Stunden des Tages - meist gegen vier Uhr am Morgen. Die Folge: Man wacht auf, wälzt sich nervös von einer Seite auf die andere und kann nicht mehr einschlafen.
Wenn Amor seinen Pfeil aus einem Herzen zieht, tut's auch deshalb weh, weil der Liebes-Leidende auf Entzug ist. In seiner langen Beziehung hat er nämlich oft die Droge Endorphin bekommen. Endorphine sind eine Reihe von Substanzen, die unser Gehirn produziert und die als Botenstoffe zwischen den Neuronen wirken. Diese körpereigenen Opiate entstehen beispielsweise beim Schmusen und sorgen für Zufriedenheit, Wohlbefinden und Glück - allerdings auch für Abhängigkeit. Denn wenn sich der geliebte Mensch eines Tages abwendet, kommt es zu heftigen Entzugserscheinungen. Unruhe, Schwermut, Ängste wühlen die Seele auf; Gefühle wie bei einem Junkie, dem der Stoff ausgegangen ist: Sehn-"Sucht". Schokolade-Essen kann die schwere Zeit ein bisschen lindern. Denn Zucker setzt im Körper Endorphine frei, wie es allerdings auch Kohlenhydrate und Fett tun.
Bei einem Verlassenen nimmt zudem die Produktion des Corticotropin- Releasing- Hormons (CRH) im Körper zu. Die Substanz reguliert des Menschen Appetit nach Essen und Sex. Im Tierversuch ließen hohe CRH- Dosen den Nahrungs- und Vermehrungstrieb rapide sinken - und ähnlich ist es offenbar beim Zweibeiner.
Doch all die Abläufe im Zentralnervensystem des Menschen sind dermaßen komplex, dass Biochemiker gerade erst die einfachsten Zusammenhänge entschlüsseln können. Zudem schwankt die Mixtur des Hormoncocktails ständig - und mit ihm die Stimmung. Wie eine emotionale Achterbahn rast man dann durch Loopings von Enttäuschung, Angst, Trauer, Verzweiflung, Sehnsucht und Wut. Und manch ein Herz fliegt dabei aus der Kurve. Ob Lady Di, Hillu Schröder oder Lieschen Müller - der Seelenschmerz macht alle klein. "Die ersten Wochen waren furchtbar. Ich lief fast rum wie eine gespaltene Persönlichkeit", gesteht der Grüne Joschka Fischer, dem die Ehefrau den Laufpass gab. Ob es in diesem zwischenmenschlichen Unglück Gesetzmäßigkeiten gibt, hat die Wiener Psychologin Gerti Seiger versucht herauszufinden. Die österreichische Beziehungs-Expertin, die vor Jahren kaum einer Talk-Show-Einladung widerstehen konnte, befragte 30 Männer und 30 Frauen, die sich wegen einer gescheiterten Liebe quälten, und machte daraus ihre Doktorarbeit.
Das dramatische Geschehen des Auseinandergehens, so Gerti Sengers Auswertung, hat fünf Akte:
1. "Bedrohung": Seltsame Blicke, fehlende Küsse, mangelnde Zeit deuten an, dass "was im Busch" ist.
2. "Lähmung": Der Riss wird offenkundig, der Partner sagt: "Es ist aus". Das trifft den anderen wie ein Hammerschlag, zieht ihm den Boden unter den Füßen weg, er bricht emotional zusammen.
3. "Verhandeln": Man telefoniert und versucht sich zu treffen. Es kommt das Angebot, sein Verhalten zu ändern, neue Hoffnung macht sich breit.
4. "Regression": Das Scheitern wird eingestanden - und alles wird egal. Tränen fließen, der Verlassene geißelt sich mit Vorwürfen. Arbeitsunfähigkeit und Appetitlosigkeit setzen ein. Der Liebeskranke zieht sich ins Bett oder in die Badewanne zurück, sucht Zuflucht in einen harmonischen Zustand von Wärme, Ruhe und Geborgenheit - und das geht hin bis zu Selbstmordgedanken.
5. "Akzeptanz": Depressionen und Weinanfälle kommen, die Gedanken kreisen. Der Trauernde lebt im Hin und Her von sozialem Rückzug und gesellschaftlicher Aktivität.
Sengers Statistik offenbart, dass es Frauen und Männern im Großen und Ganzen ähnlich ergeht. Bei 90 Prozent fließen Tränen. Zwei Drittel beiderlei Geschlechts gaben einen Gewichtsverlust von drei bis sechs Kilo an. Und ebenso viele wurden krank. Sie bekamen Magen-Darmbeschwerden, Kreislaufstörungen, Rheumaschübe oder Allergien. Der große Unterschied zwischen beiden Geschlechtern zeigte sich in der Bereitschaft, über den eigenen Zustand zu reden. 93 Prozent der Frauen, aber nur 30 Prozent der Männer vertrauen sich in ihrem Leid jemandem an. "Männer legen die Probleme noch immer als Schwäche aus", sagt Senger, "und wenden ihre Energie dazu auf, Haltung zu bewahren und Schmerz zu verdrängen."
Dafür trösten sich Männer (63 Prozent) häufiger mit sexuellen Abenteuern als Frauen (23 Prozent). Vermutlich ein Labsal fürs verletzte Ego. Insgesamt, so fand Frau "Dr. Liebeskummer" heraus, brauchen beide Gruppen unterschiedlich lang für den Leidensweg: Männer im Durchschnitt elf und Frauen 15 Monate.
Warum Abschied nehmen so schwer fällt, weiß Caruso. Man bedenke, "ein Mensch liebt einen anderen". Schreibt der Salzburger Seelenforscher, "er hatte bis zu jenem bestimmten Tag, bis zu einem bestimmten Augenblick, den lebendigen Körper, den lebendigen Geist, die lebendige Wärme, die Gegenwart eines anderen Menschen für sich gehabt. Er sah, liebkoste, fühlte, hörte, roch diesen Menschen, er sprach mit ihm." Und plötzlich ist Schluss mit alledem. Das Ich in Abschiebehaft. Alle Bindungen sterben ab. Caruso: "Die Trennung hat den Geschmack des Todes - im Leben. Das Problem der Trennung ist das Problem des Todes zwischen Lebenden." Seiner Meinung nach ist die Zeit, in der ein Mensch wie wahnsinnig ums nicht klingelnde Telefon schleicht, in der er Briefe schreibt, die er nie abschickt und in der er den Umsatz des Blumenladen um die Ecke steigert, oft noch härter als das physische Ende des Partners - Viele Sitzungsprotokolle von Patienten beweisen wirklichen Tod würde der Geliebte in die unbewegliche und erstarrte Ewigkeit rücken. Er wird nicht älter, er wird nicht anders, er wird auch nicht mehr untreu. Die Ewigkeit nimmt ihn auf als Geliebten, der mir allein gehört - eine erhabene und bequeme Situation zugleich. "Im Liebesleid der Lebenden jedoch wendet sich der Partner nicht nur ab, sondern schenkt seine Zuneigung früher oder später einem anderen."
Im Horrortrip des Trennungsschmerzes will der Psychologe Hinderk M. Emrich sogar etwas entdeckt haben, was der Gepeinigte am wenigsten vermutet. "Paradoxerweise ist derjenige, der Liebeskummer hat, sehr häufig derjenige, der sich gegen die Liebe wehrt", sagt der Professor und Leiter der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover.
Wie bitte? Emrich erklärt: "Liebe ist ein schwieriger, gefährlicher Prozess voller Ängste. Eine Gratwanderung zwischen Sehnsucht nach Geborgenheit auf der einen und Bestrebungen nach Autonomie auf der anderen Seite. Dabei muss das ICH beim Niederreißen seiner eigenen Grenzen den drohenden Verlust seiner Identität bewältigen." Meist werde dieser Konflikt paradox gelöst. Und zwar so: "Wer sich verliebt, hält den anderen gleichzeitig auf seelischer Distanz, verbirgt das aber vor sich." Das, so Emerich, sehe er ständig in der Praxis, wo er mit Menschen voller Partnerschaftsproblemen zu tun habe. "Allerdings muss die Seele vor sich selbst verbergen, dass sie nicht den Mut zur totalen Hingabe hatte", sagt der Professor. Die Folge: Der Partner ist enttäuscht und wendet sich ab - der andere bekommt Liebeskummer.
Gibt es ein Rezept gegen Trennungsschmerz? Kaum. Es ist offenbar der Preis, den ein Mensch für die wunderbaren Gefühle der Liebe riskieren muss. Leidenschaft die Leiden schafft. Doch die Katastrophe hat auch ihr Gutes. Wer vor dem Scherbenhaufen seiner Beziehung steht, fühlt so intensiv wie sonst nie. Wenn das Tagebuch zum engsten Vertrauten wird, öffnet sich der Zugang zu den eigenen emotionalen Ressourcen. Gefühle wallen wie Sturmfluten. Plötzlich wird das Leben, das tagaus, tagein verschwenderisch vergeudet wird, bedeutungsvoll. Und alles andere, der Ärger mit dem Chef, die Delle im Auto, die unbezahlte Rechnung werden lächerlich klein. Das ICH macht Inventur. So muss das Ende der großen Liebe keinesfalls das große persönliche Scheitern sein.
Im Gegenteil. Trennungszeit ist Reifezeit. Und irgendwann kommt der Tag, wo man 24 Stunden nicht an den anderen denkt. Schließlich bedeutet der Schluss-Strich eine neue Chance auf ein neues Glück - das es diesmal besser zu meistern gilt. "Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling"? Doch, Siw Malmkvist!
Ob die Menschheit allerdings angesichts der vielen durchlittenen Beziehungsqualen tatsächlich reifer wird, scheint fraglich. Zwar wird in unserer Gesellschaft immer häufiger Schluss gemacht, doch die Trennung wird immer weniger tief erlebt. Denn weil sich das Beziehungskarussell heute viel schneller als vor 30 Jahren dreht, hat auch das Herz-Verschenken Inflation. Je häufiger aber jemand seine schönen Gefühle offeriert, desto öfter kommt auch der Kummer - und so dauert er auch immer kürzer.