RE: Sina, bitte um deine Antwort
RE: Sina, bitte um deine Antwort
Hallo Robert,
gerade habe ich mir noch mal deine Nachrichten angeschaut, in denen du euer Problem beschreibst.
Therapie:
Ich bin ja eine starke Befürworterin von Therapien, aber es gibt gewiss auch Formen, die ungeeignet sind oder gar ein Problem verschärfen können bzw. in manchen Situationen nicht ausreichen. Was mir auffällt, ist folgendes: eure Therapiebesuche erstrecken sich bereits über einen auffallend langen Zeitraum und mit großen Zeitabständen. Eure Krise verlangt meines Erachtens nach intensivere Zusammenarbeit. Geht ihr gemeinsam zu den Terminen, also du und deine Frau oder kommen die Kinder auch mit? Wie ist deine Einstellung zu dem Therapeuten und wie die deiner Frau? Wie "gut" findet ihr ihn? Falls ihr von seiner Kompetenz überzeugt und euch beide bei ihm ernstgenommen und wohl fühlt, wäre zu überlegen, ob ihr diese seltenen Termine entweder häufiger wahrnehmen könntet (also einmal wöchentlich) oder aber eine/n zusätzliche/n spezielle/n Paartherapeuten aufsucht. Könnt ihr aufgrund der bisherigen Therapie gute Fortschritte und eine deutliche positive Veränderung in der Familie verzeichnen? Es ist vielleicht an der Zeit, dass du gemeinsam mit deiner Frau den momentanen Status besprichst und Bilanz ziehst.
Sex:
So rätselhaft erscheint mir der fehlende Sex nicht. Du schreibst: "Psychische Probleme meiner Frau äussern sich vor allem durch depressives Verhalten, Traurigkeit, Angstzustände und Müdigkeit."
Depression führt oft dazu, dass die Erotik vergraben wird. Ich will damit sagen, sie ist nicht weg, aber der depressive Mensch hat keinen Zugriff darauf. Wie wäre es, wenn du häufiger die Initiative ergreifen würdest, vorausgesetzt, sie geht dann freiwillig mit und es entsteht eine angenehme Nähe, wie du geschildert hast. Depressive Menschen haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle und Zuneigung auszudrücken oder einen Anfang zu machen. Das macht es umso schwerer, ihnen mit Liebe zu begegnen, aber das ist auf jeden Fall der richtige Weg, auch wenn man lange Zeit auf eine "Antwort" warten muss.
Haushalt:
Es ist schon mal gut, dass du dich am Wochenende deiner Familie widmest. Allerdings wäre es hilfreich, wenn du deiner Frau auch unter der Woche einige Dinge abnehmen könntest. Nimm den Müll mit raus (alles bitte ungefragt und ungeachtet eventueller Proteste ihrerseits), geh einkaufen, kümmer dich um den Abwasch, saug die Wohnung ab, egal was, mach es regelmäßig und zuverlässig und ohne ihr das Gefühl zu geben, sie mache es nicht gut genug. Deine Frau ist zur Zeit überfordert, und wie jemand, der mit Fieber im Bett liegt, braucht sie besondere Zuwendung und Unterstützung. Vielleicht könntest du es auch "verpacken": Schatz, ich habe heute mal eingekauft, damit du Zeit hast, mal wieder einen leckeren Rührkuchen zu backen" (vorausgesetzt, sie mag es gerne und auch zu Zeit). Du kennst sie ja da am besten. Oder auch: Liebes, ich weiß doch, dass du gerne in der Stadt bummeln gehst, da habe ich schon mal die Wohnung gesaugt."
Kinder:
Kinder sind ja das berühmte Spiegelbild der Familie und übernehmen unbewusst nicht ausgefüllte Rollen der Eltern. Um diese Verstrickung im Interesse der gesamten Familie und besonders der Kinder aufzulösen, reicht eure Therapie (-form) nicht aus. Es ist allerdings schon sehr viel getan, wenn deine Frau und du gemeinsam intensiv an eurer Ehe arbeitet und die Rollenverteilung sich dadurch neu und gesünder definiert. Damit werden eure Kinder automatisch wieder mehr von ihren eigentlichen Kinderrollen zurückgewinnen.
Es ist auch zu bedenken, dass es in eurer Familie keinen Problemverursacher gibt. Ihr seid alle "Symptomträger" eines gemeinsamen Konfliktes, der - wenn man so will - aus einer Gemeinschaftsarbeit erwachsen ist. Das ist ganz wichtig, damit nicht einer das Gefühl bekommt, er sei das Problem-Familienmitglied, denn das trifft definitv nicht zu.
Insgesamt würde ich sagen dass es für euch darauf hinausläuft, den Mut zu finden, neue Wege zu versuchen. Aus der Ferne und deinen wenigen Zeilen entnommen klingt es ein wenig "eingefahren", so als habe deine Frau Angst "dies sei es nun also gewesen". Das ist ernstzunehmen und von gemeinsamen Veränderungen provitiert am Ende die ganze Familie. Wie wäre es mit einer Überraschungsreise am Wochenende (sofern es die finanzielle Situation zulässt) oder zumindest ein "Babysitter", damit ihr nur Zeit für euch beide habt? Erwarte bitte keine Wunder und habe Geduld. Deine Frau muss auch sicher sein können, dass du es ernst meinst mit deiner Bereitschaft, ihr entgegenzukommen.
Sehr empfehlenswert ist auch das wöchentliche Zwiegespräch. Jeder drückt seine Gedanken, Gefühle, Ängste aus, in "Ich-Botschaften", möglichst ohne den anderen zu verletzen, es geht vor allem ums Zuhören, also nicht unterbrechen. Am Anfang gewöhnungsbedürftig wird es bald zur wertvollen und liebgewonnenen Gemeinsamkeit, wie ein guter Freund. Das klappt auch gut mit der ganzen Familie (sogenannte "Familienkonferenz", bei der jeder sicher sein muss, dass das ehrlich Gesagte nicht gegen ihn verwandt und auch nicht abwertend kommentiert wird). Ich würde aber bei euch beiden sagen, dass du erst mal eine stabilere Beziehung zu deiner Frau brauchst.
Depression ist unterdrücktes Wissen: deine Frau hält ihr Herz unter Verschluss. Hilf ihr, es zu öffnen, sich zu befreien und die Dinge, die dich dann vielleicht ängstigen nicht persönlich zu nehmen, sondern als Chance zur beiderseitigen Weiterentwicklung.
Eure Situation ist nicht hoffnungslos, aber akut. Was meinst du dazu? Ich wünsche euch alles Gute!
Herzliche Grüße
Sina